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Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss

Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss

Titel: Vorzeitsaga 04 - Das Volk vom Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
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kleinen Bogen. Er zupfte an der straff gespannten Sehne aus geflochtenem Haar und lauschte mit seitlich geneigtem Kopf dem erzeugten Klang. Dabei hoben und senkten sich seine buschigen grauen Augenbrauen vielsagend. »Wenigstens weiß dein Bogen, warum.«
    Flechte blickte finster auf ihren Bogen. »So? Was sagt er denn?«
    »Er sagt, bevor Vogelmann von Angesicht zu Angesicht mit dir spricht, mußt du ihm erst einen Beweis deines Mutes geben. Du willst doch mit ihm reden, oder?«
    »Ja, schon … aber …«
    »Flechte?« fragte er mit einem vorwurfsvollen Unterton.
    »Ich mach' es«, erklärte sie sich widerwillig bereit. »Gut, Wanderer. Und wie erlege ich den Baum der Ersten Frau?«
    Seine dunklen Augen wurden schmal. »Er steht gleich hinter diesem Felsen. Du mußt genau zwischen seine Äste schießen. Ziel nicht auf den Stamm, sonst spürt Donnervogel das Zittern des Baumes und schleudert aus den Astspitzen Blitze nach dir.«
    Flechte nahm den Bogen und legte einen Pfeil in die Kerbe. »Ob ein Pfeil reicht?«
    »Er sollte genügen. Aber wenn sie dich verfolgt, schieß noch einmal.«
    Mich verfolgt? »Natürlich.«
    Wanderer ging in die Hocke und stimmte eine merkwürdige Melodie an. Er reihte nur schöne, harmonische Tone aneinander.
    Tapfer pirschte Flechte um den grobkörnigen Felsen herum. Der bedrohliche Schatten einer über die Klippe wandernden dunklen Wolke fiel auf ihr Gesicht.
    Entschlossen schob sich Flechte weiter nach vorn und sprang erschrocken zurück. Vor ihr fiel die Klippe jäh hundert Hand tief ab. Wanderer, hier ist kein Baum. Sie reckte den Hals, spähte über die Kante und entdeckte eine winzige Zeder, die sich auf einem Fleckchen Erde, nicht größer als ihr Fuß, festklammerte. Der Baum reichte ihr höchstens bis zu den Knien.
    Das sollte der Baum der Ersten Frau sein?
    Flechte sah keine Eier von Donnervogel im Wipfel. Stirnrunzelnd warf sie einen Blick über die Schulter auf Wanderer, hob seufzend den Bogen und schoß in die Zweige. Der Baum schwankte leicht, als versuche er, ihren Pfeil abzuschütteln.
    Ein Blitz zerriß die Luft und schlug tausend Hand entfernt in den Fels ein. Bruchstücke von Steinen wirbelten durch die Luft wie riesige Hagelkörner. Donnervogels Dröhnen erschütterte den Boden so heftig, daß es sie von den Beinen riß.
    »Flechte!« schrie Wanderer.
    »Ich habe den Stamm nicht getroffen!« kreischte sie entsetzt.
    Donnervogels Grollen verhallte. Keuchend lag Flechte auf der Erde und starrte mit weit aufgerissenen Augen zu der Wolke hinauf. Schweißtropfen liefen ihr über den Hals.
    Wanderer lief zu ihr und schloß sie fest in die Arme. »Bist du in Ordnung?«
    »Ja, aber ich weiß nicht, was ich falsch gemacht habe.«
    »Oh, Donnervogel steckt voller Widersprüche. Ihm macht es manchmal Spaß, die Leute in Angst und Schrecken zu versetzen. Hast du den Baum erlegt?«
    »Ich glaube schon.«
    Er ließ sie los und sah nach. »O ja. Das hast du sehr gut gemacht. Setz dich doch in den Schatten und ruh etwas aus. Ich schneide währenddessen die Spitze ab.«
    Flechte ließ sich gegen den Fels sinken und wischte sich die feuchte Stirn. Die Jagdgeister verlangten eine Menge Kraft. »Nur die Spitze? Warum nehmen wir nicht den ganzen Baum mit?«
    Sie hörte das leise Geräusch des Sägemessers, als Wanderer den Wipfel mit seinem Messer abzuschneiden begann.
    »Man braucht nur ein kleines Stück, um einen Tunnel zu öffnen, durch den du mit Vogelmann sprechen kannst.«
    »Einen Tunnel?«
    »Ja. Diese Zweige gleichen hohlen Schilfrohren. Sie verbinden die Unterwelt mit den Menschen und dem Himmel.«
    »Muß ich in den Tunnel hineinkriechen?« Diese Vorstellung ängstigte sie noch mehr als Donnervogels Zorn.
    »O ja, wie eine Schlange. Heute abend bereiten wir dich auf das Sterben vor und «
    »Was?«
    Wanderer verharrte mitten in der Bewegung und blickte überrascht auf. »Habe ich dir das nicht gesagt?«
    »Nein!« verwahrte sie sich heftig. »Du hast kein Wort davon gesagt, daß ich sterben muß!«
    »Ich werde wirklich vergeßlich.« Kopfschüttelnd machte er sich wieder an die Sägerei. Als er das oberste Ende der Baumspitze in Händen hielt, legte er Gebetsfedern neben den Stamm und sang ein leises Lied des Dankes an die Erste Frau.
    Vorsichtig zog er sich vom Abgrund zurück und überreichte Flechte lächelnd die duftenden Zweige.
    »Wie dem auch sei, wir haben noch eine Menge zu tun. Gehen wir heim. Wir müssen eine Totensänfte bauen und ein Essen für deine Reise in die

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