Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken
Diese besagte, dass das in Amerika herrschende Klima alles Leben auf dem Kontinent zum Schlechten gewandelt habe, Tiere, Pflanzen, die Ureinwohner und selbstverständlich auch jene Europäer, die ihren Fuß in dieses Land gesetzt hatten. Diese Theorie heizte das bestehende Interesse des einfachen Volkes jedoch nur noch mehr an, und begnadete Schriftsteller wie Benjamin Franklin und Thomas Jefferson leisteten ihren Beitrag dazu, dass dieses Interesse nicht verebbte. Diese Männer glaubten fest daran, dass das Regierungssystem der Irokesen dem der Monarchie überlegen sei, und ermutigten alle Kolonisten, genau zuzuhören, was die Irokesen zu sagen hatten.
Damit lösten sie eine Kette von Reaktionen aus, die bis heute kein Ende gefunden hat. Im Jahre 1744 traf der Führer der Irokesischen Liga, Canassatego, in Lancaster, Pennsylvania, mit amerikanischen Siedlern zusammen. Nachdem sie ihm von ihren Schwierigkeiten mit der Krone berichtet hatten, riet er ihnen, möglichst rasch eine Liga wie die der Irokesen zu etablieren, um sich gegen die Krone zur Wehr zu setzen.
Im gleichen Jahr schütteten wie Irokesenkrieger gekleidete Siedler Tee in den Hafen von Boston, um gegen die britischen Steuererlässe und die Konfiszierung von Schießpulver zu demonstrieren, die ihrem Recht auf Selbstverteidigung widersprach. Im Jahr 1755 brachen in Concord und Lexington schwere Unruhen aus. Am 25. August 1755, ungefähr zweihundertfünfzig Jahre nach ihrer ersten Begegnung, trafen sich die Siedler mit Führen der Irokesen-Liga in Philadelphia. Die Vertreter der Siedler erklärten gegenüber den Irokesen: »Unser Anliegen an euch besteht neben dem Wieder entfachen des traditionellen gemeinsamen Feuers und der Erneuerung unseres Bündnisses darin… euch über den weisen Rat zu informieren, den wir vor dreißig Jahren erhielten… als Canassatego zu uns sprach… Brüder, unsere Vorväter hörten mit großer Freude Canassatego diese Worte aussprechen. Sie sind tief in unsere Herzen gesunken… Wir danken dem großen Gott, dass wir alle vereinigt sind; dass wir eine starke Konföderation geschaffen haben, die sich aus zwölf Provinzen zusammensetzt…« Die ersten »vereinigten Staaten« sind zumindest teilweise als Resultat dieses weisen irokesischen Ratschlages zu sehen.
Im Jahr 1778 schrieb James Adair ein Buch mit dem Titel History of the American Indians, in dem er die Grundsätze des Regierungssystems der Irokesen beschreibt: »Ihre ganze Verfassung atmet nichts als Freiheit… Gleichheit der Lebensumstände, der Sitten und Privilegien…«
Am Vorabend der Amerikanischen Revolution, im Jahr 1776, las man in einem Aufsatz über die »Amerikaner«, der in England viel Beachtung fand, folgendes: »Das größte Anliegen des Amerikaners ist die Freiheit, und zwar bis in die letzte Konsequenz. Und hierbei ist es nicht nur allein die Urbevölkerung, auf die sich diese Leidenschaft beschränkt; unsere auf diesen Kontinent entsandten Siedler scheinen sich ebenfalls diesen Prinzipien verschrieben zu haben.«
Das würde eine der größten Untertreibungen in der Geschichte der Menschheit bestätigen. Tatsache ist, dass der Ursprung der politischen Ideale der so genannten »Freien Welt« in den reichen demokratischen Traditionen der Ureinwohner zu finden ist.
Die Regierungsform, die die Liga der Irokesen proklamierte, beinhaltete alles, was die europäischen Monarchien nicht vorsahen. Die Irokesen lehnten es strikt ab, die Macht in die Hände eines einzelnen Individuums zu legen, um zu verhindern, dass diese Macht missbraucht wurde. Oberstes Ziel der Liga war es, die Freiheit des Einzelnen zu maximieren und den Einfluss der Regierenden auf das Leben der Menschen zu minimieren. Die Irokesen lehrten, dass ein Regierungssystem das Recht des Einzelnen zu schützen, gleichzeitig aber auch das Wohl der Gemeinschaft zu gewährleisten habe; es soll Initiative anerkennen, Toleranz fördern und unanfechtbare Menschenrechte schaffen. Gute Regierungen, davon waren sie überzeugt, gewähren dem Volk ein Recht auf Mitbestimmung beziehungsweise Widerspruch und sichern das Wohl des Volkes durch ein Ein-Erwachsener-eine-Stimme-Wahlsystem. Sie akzeptieren die Gleichberechtigung von Mann und Frau und respektieren die Verschiedenheit der Menschen, ihre religiösen, wirtschaftlichen und politischen Ideale, ihre Träume.
Keine dieser Grundprinzipien waren Teil der europäischen Staatswesen; aber kein Europäer, der von diesen Prinzipien Kenntnis erhielt, konnte
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