Wallander 09 - Der Feind im Schatten
schließlich seinen Hof. Als er die eingekauften Lebensmittel in den Kühlschrank gelegt hatte, setzte er sich an den Küchentisch. Alles um ihn herum war still.
Er versuchte, sich etwas zurechtzulegen, was er Linda erzählen würde.
Aber er rief sie den ganzen Tag nicht an, nicht einmal am Abend.
Er wusste einfach nicht, was er ihr sagen sollte.
Epilog
Eines Nachts im Mai 2009 erwachte Wallander von einem Traum. Es kam immer häufiger vor in seinem Leben, dass die Erinnerungen der Nacht lebendig blieben, wenn er die Augen öffnete. Früher hatte er sich nur äußerst selten an Träume erinnert. Jussi, der krank gewesen war, schlief auf dem Fußboden neben dem Bett. Die Uhr auf dem Nachttisch zeigte Viertel nach vier. Vielleicht hatte nicht nur der Traum ihn geweckt? Vielleicht war der Schrei eines Nachtvogels durch das offene Schlafzimmerfenster hereingedrungen? Das war schon früher vorgekommen.
Aber jetzt war die Eule fort. Er hatte von Linda und dem Telefongespräch geträumt, das sie am Tag seiner Rückkehr von Blåskär hätten führen sollen. Im Traum hatte er sie angerufen und ihr erzählt, was passiert war. Sie hatte ihm zugehört, ohne etwas zu sagen. Dann war es vorbei. Der Traum war einfach abgebrochen, wie ein morscher Ast.
Er erwachte mit einem heftigen Gefühl von Unbehagen. In Wirklichkeit hatte er es nicht über sich gebracht, sie anzurufen. Die Erklärung, die er sich selbst dafür gab, war eine einfache Entschuldigung. Er hatte nicht zu der Tragödie beigetragen, und es würde nur zu einer für ihn unerträglichen Situation führen, wenn er genau erzählen müsste, was geschehen war. Damit würde er sich auch dem Verdacht aussetzen, in die Angelegenheit verwickelt zu sein. Erst wenn die Tragödie öffentlich wurde, müssten sie und Hans erfahren, was geschehen war. Und er selbst könnte, im besten Fall, unsichtbar bleiben.
Wallander dachte, dass es zum Schwersten gehörte, waser je erlebt hatte. Er konnte es nur mit einer viele Jahre zurückliegenden Situation vergleichen, als er zum ersten Mal im Dienst einen Menschen getötet und ernstlich überlegt hatte, den Polizeiberuf an den Nagel zu hängen. Damals hatte er daran gedacht, das zu tun, was Martinsson jetzt getan hatte. Als Polizist aufzuhören und etwas ganz anderes zu machen.
Wallander beugte sich über die Bettkante und schaute auf seinen Hund. Jussi schlief. Auch er träumte, die Vorderpfoten scharrten in der Luft. Wallander lehnte sich wieder zurück. Durchs Fenster strömte kühlende Nachtluft ins Zimmer. Er trat die Decke von sich. Seine Gedanken wanderten zu dem Papierstapel auf dem Küchentisch. Schon im September des Vorjahres hatte er angefangen, einen Bericht über all jene Ereignisse abzufassen, die sich vor der Tragödie in der Jagdhütte auf Blåskär abgespielt hatten.
Es war Eskil Lundberg gewesen, der die Leichen gefunden hatte. Die Kriminalpolizei in Norrköping hatte sogleich Ytterberg zur Unterstützung hinzugerufen. Da es sich auch um einen Fall für die Sicherheitspolizei und den militärischen Nachrichtendienst handelte, war über die wichtigsten Einzelheiten eine Nachrichtensperre verhängt worden. Wallander war auf das angewiesen, was Ytterberg ihm im Vertrauen berichten konnte. Die ganze Zeit wartete Wallander darauf, dass trotz allem seine Anwesenheit in der Jagdhütte aufgedeckt würde. Seine größte Sorge war, dass Sten Nordlander seiner Frau etwas von der Reise erzählt hatte. Aber anscheinend hatte er nichts gesagt. Tief betroffen las Wallander in der Zeitung von der Verzweiflung der Frau über den Tod ihres Mannes und ihre Weigerung, zu glauben, dass er seinen alten Freund getötet und danach sich selbst erschossen haben sollte.
Ytterberg beklagte sich hin und wieder bei Wallander. Nicht einmal er, der die polizeiliche Ermittlung leitete,wusste, was sich hinter den Kulissen abgespielt hatte. Aber dass Sten Nordlander Håkan von Enke mit zwei Schüssen getötet und danach sich selbst das Leben genommen hatte, daran bestand kein Zweifel. Dagegen war es vollkommen unerklärlich, wie Sten Nordlander nach Blåskär hinausgekommen war. Es bedeutete, sagte Ytterberg bei mehreren Gelegenheiten, dass vermutlich eine weitere Person beteiligt gewesen war. Aber wer diese Person war und welche Rolle sie gespielt hatte, vermochte er nicht zu sagen. Auch in Bezug auf das eigentliche Motiv für die Tragödie tappte man völlig im Dunkeln.
Die Zeitungen und andere Medien ergingen sich in wilden
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