Wanderer, Kommst Du Nach Spa ... Großdruck
Gesicht, und nun erkannte ich ihn: es war Birgeler.
»Milch«, sagte ich leise …
Trunk in Petöcki
Der Soldat spürte, daß er jetzt endlich betrunken war. Gleichzeitig fiel ihm in aller Deutlichkeit wieder ein, daß er keinen Pfennig in der Tasche hatte, um die Zeche zu bezahlen. Seine Gedanken waren so eisklar wie seine Beobachtungen, er sah alles ganz deutlich; die dicke kurzsichtige Wirtin saß im Düstern hinter der Theke und häkelte sehr vorsichtig; dabei unterhielt sie sich leise mit einem Mann, der einen ausgesprochen magyarischen Schnurrbart hatte: ein richtiges reizendes Pußta-Paprika-Operettengesicht, während die Wirtin bieder und ziemlich deutsch aussah, etwas zu brav und unbeweglich, als daß sie des Soldaten Vorstellungen von einer Ungarin erfüllt hätte. Die Sprache, die die beiden wechselten, war ebenso unverständlich wie gurgelnd, leidenschaftlich wie fremd und schön. Im Raum herrschte ein dicker grüner Dämmer von den vielen dichtstehenden Kastanienbäumen der Allee draußen, die zum Bahnhof führte: ein herrlicher dicker Dämmer, der nach Absinth aussah und auf eine köstliche Weise gemütlich war. Der Mann mit diesem fabelhaften Schnurrbart hockte halb auf einem Stuhl und lehnte breit und bequem über der Theke.
Das alles beobachtete der Soldat ganz genau, während er wußte, daß er nicht ohne umzufallen bis zur Theke hätte gehen können. Es muß sich ein bißchen setzen, dachte er, dann lachte er laut, rief »Hallo!«, hob der Wirtin sein Glas entgegen und sagte auf deutsch: »Bitte schön«. Die Frau stand langsam von ihrem Stuhl auf, legte ebenso langsam das Häkelzeug aus der Hand und kam lächelnd mit der Karaffe auf ihn zu, während der Ungar sich auch umwandte und die Orden auf der Brust des Soldaten musterte. Die Frau, die auf ihn zugewatschelt kam, war so breit wie groß, ihr Gesicht war gutmütig, und sie sah herzkrank aus; ein dicker Kneifer an einer verschlissenen schwarzen Schnur saß auf ihrer Nase. Auch schienen ihr die Füße weh zu tun; während sie das Glas füllte, stützte sie den einen Fuß hoch und eine Hand auf den Tisch; dann sagte sie eine sehr dunkle ungarische Phrase, die sicher »Prost« hieß oder »Wohl bekomm's«, oder vielleicht gar eine allgemeine liebenswürdige mütterliche Zärtlichkeit, wie sie alte Frauen an Soldaten zu verteilen pflegen …
Der Soldat steckte eine Zigarette an und nahm einen tiefen Schluck
aus seinem Glas. Allmählich fing die Wirtsstube an, sich vor seinen Augen zu drehen; die dicke Wirtin hing irgendwo quer im Raum, die verrostete alte Theke stand jetzt senkrecht, und der wenig trinkende Ungar turnte oben irgendwo im Raum herum wie ein Affe, der zu feinen Kunststücken abgerichtet ist. Im nächsten Augenblick hing alles auf der anderen Seite quer, der Soldat lachte laut, schrie »Prost!« und nahm noch einen Schluck, dann noch einen, und machte eine neue Zigarette an.
Zur Tür kam jetzt ein anderer Ungar herein, der war dick und klein
und hatte ein verschmitztes Zwiebelgesicht und einen sehr winzigen Schnurrbart auf der Oberlippe. Er pustete schwer die Luft aus, schleuderte seine Mütze auf einen Tisch und hockte sich vor die Theke. Die Wirtin gab ihm Bier …
Das sanfte Geplauder der drei war herrlich, es war wie ein stilles Summen am Rande einer anderen Welt. Der Soldat nahm noch einen tiefen Schluck, das Glas war leer, und nun stand alles wieder an seinem richtigen Platz. Der Soldat war fast glücklich, er hob wieder das Glas, sagte lachend wieder »Bitte schön«.
Die Frau schenkte ihm ein.
»Jetzt habe ich fast zehn Glas Wein«, dachte der Soldat, »und ich will jetzt Schluß machen, ich bin so herrlich betrunken, daß ich fast glücklich bin.« Die grüne Dämmerung wurde dichter, die weiter entfernten Ecken der Wirtsstube waren schon von undurchsichtigen, fast tiefblauen Schatten erfüllt. »Es ist eine Schande, dachte der Soldat, daß hier keine Liebespaare sitzen. Es wäre eine reizende Kneipe für Liebespaare, in diesem schönen, grünen und blauen Dämmer. Es ist eine Schande um jedes Liebespaar draußen irgendwo in der Welt, das jetzt im Hellen herumhocken oder herumrennen muß, wo hier in der Kneipe Platz wäre, zu plaudern, Wein zu trinken und sich zu küssen …
Mein Gott«, dachte der Soldat, »jetzt müßte hier Musik sein und
alle diese herrlichen, dunkelgrünen und dunkelblauen Ecken voll Liebespaare, und ich, ich würde ein Lied singen. Verdammt, dachte er, ich würde glatt ein Lied singen. Ich
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