Warum Marx recht hat
Eigentums«. 128 Letztlich, so behauptet Marx, repräsentiere das Parlament oder der Staat weniger das einfache Volk als das Privateigentum. Wie gesagt, hätte Cicero ihm darin vorbehaltlos zugestimmt. In einer kapitalistischen Ordnung würde kein Parlament wagen, der geballten Macht einflussreicher gesellschaftlicher Kräfte entgegenzutreten. Würde es tatsächlich Anstalten machen, ihnen zu radikal in die Quere zu kommen, wären seine Tage gezählt. Daher wäre es schon merkwürdig, wenn Sozialisten solche Debattierclubs als das entscheidende Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele ansehen würden statt nur als ein Mittel unter vielen.
Marx selbst scheint geglaubt zu haben, dass Sozialisten in Ländern wie England, Holland und den Vereinigten Staaten ihre Ziele mit friedlichen Mitteln erreichen könnten. Parlament oder Sozialreform lehnte er durchaus nicht ab. Auch meinte er, eine sozialistische Partei könne die Macht nur mit Hilfe einer Mehrheit der Arbeiterklasse ergreifen. Daher war er ein begeisterter Anhänger reformistischer Organe wie politischer Arbeiterparteien, Gewerkschaften, Kulturvereinen und politischer Zeitungen. Er sprach sich für besondere reformistische Maßnahmen wie die Ausweitung des Wahlrechts und die Verkürzung des Arbeitstags aus. Eine Zeitlang war er etwas zu optimistisch davon überzeugt, das allgemeine Wahlrecht werde die kapitalistische Herrschaft untergraben. Auch sein Mitstreiter Friedrich Engels maß dem friedlichen gesellschaftlichen Wandel erhebliche Bedeutung zu und hoffte auf eine gewaltfreie Revolution.
Ein Problem sozialistischer Revolutionen liegt darin, dass sie meist dort ausbrechen, wo sie am wenigsten Aussichten auf Bestand haben. Auf diese Paradoxie verwies Lenin anlässlich des bolschewistischen Aufstands. Menschen, die grausam unterdrückt werden und halb verhungert sind, mögen das Gefühl haben, sie hätten bei einer Revolution nichts zu verlieren. Andererseits sind, wie gesehen, gerade die rückständigen gesellschaftlichen Verhältnisse dafür verantwortlich, dass die Menschen ausgerechnet an Orten revoltieren, die sich am wenigsten für den Aufbau des Sozialismus eignen. Unter diesen Bedingungen mag es leichter sein, den Staat zu stürzen, aber es fehlt den Revolutionären an den Mitteln, eine lebensfähige Alternative zu schaffen. Menschen, die mit den Verhältnissen zufrieden sind, sind wahrscheinlich nicht geneigt, Revolutionen zu initiieren. Das gilt jedoch genauso für Menschen, die bar aller Hoffnung sind. Die schlechte Nachricht für Sozialisten lautet, dass es Menschen außerordentlich widerstrebt, ihre Situation zu verändern, solange sie von dieser Situation noch etwas erwarten können.
Gelegentlich wird Marxisten höhnisch die angebliche politische Apathie der Arbeiterklasse unter die Nase gerieben. Sehr gut möglich, dass gewöhnliche Menschen der Alltagspolitik eines Staates gleichgültig gegenüberstehen, der ihnen gegenüber gleichgültig ist. Doch sobald er versucht, ihre Krankenhäuser zu schließen, ihre Fabrik nach Westirland zu verlegen oder einen Flugplatz in ihren Gärten zu bauen, werden sie sich vermutlich zum Handeln aufraffen. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass eine gewisse Apathie durchaus vernünftig ist. Solange ein Gesellschaftssystem seinen Bürgern ein mageres Auskommen einbringt, ist es nicht unvernünftig, dass sie an dem festhalten, was sie haben, statt waghalsig in eine ungewisse Zukunft zu springen. Es gibt keinen Anlass, über einen solchen Konservatismus zu spotten.
Auf jeden Fall sind die meisten Menschen zu sehr damit beschäftigt, sich über Wasser zu halten, um sich auf Zukunftsvisionen einzulassen. Verständlicherweise sind die Menschen in ihrer Mehrzahl nicht besonders erpicht auf radikale gesellschaftliche Umwälzungen. Ganz gewiss werden sie sich nicht für den Sozialismus entscheiden, weil seine Ideen ganz vernünftig klingen. Nur wenn die Mängel des Status quo schwerer wiegen als die Nachteile radikaler Veränderung, wird ein solcher Sprung in die Zukunft zu einer vernünftigen Option. In der Regel brechen Revolutionen erst aus, wenn fast jede Alternative besser erscheint als die Gegenwart. Sich in dieser Situation nicht aufzulehnen, wäre unvernünftig. Nachdem der Kapitalismus jahrhundertelang das Loblied des Eigennutzes gesungen hat, kann er sich nicht beklagen, wenn seinen Mietlingen der Sinn nach Veränderung steht, sobald sie erkannt haben, dass es in ihrem eigensten Interesse ist, etwas anderes
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