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Was gewesen wäre

Was gewesen wäre

Titel: Was gewesen wäre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregor Sander
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Tischen hin und her. Astrid sieht eine Ameisenstraße neben dem Türrahmen und deutet wortlos darauf. Um ein Klavier lungern fünf Gestalten in schlechtsitzenden Anzügen. Die Instrumente zu ihren Füßen. Geige, Gitarre, Posaune und ein Cello. »Die sehen aus wie aus einem Kusturica-Film«, hört sie Paul begeistert sagen, und das ist das Letzte, was sie hört, denn dann sieht sie Julius in einer der Nischen am Fenster sitzen. Julius und auch seinen Bruder Sascha. Der hat kaum noch Haare, sein Kopf ist rasiert und glänzt im Licht des Kronleuchters. Aber Julius sieht aus wie immer, ganz gleich, nur älter. Ein Geist in einem hellgrauen Hemd, und Astrid denkt: »Nein, nicht hier. Das kann nicht sein.« Dieser Gedanke und das Fortziehen von Paul sind fast eins. Sie zieht ihn Richtung Treppe, und fast läuft sie dabei. Sie hat das Gefühl, als hätte ihr jemand mit der flachen Hand auf den Solarplexus geschlagen. Während sie die Treppen hinunterläuft, hört sie auch Paul wieder, wie er sagt, fast schreit: »Himmel, was ist denn?!« Sie bleibt stehen, atmet schwer: »Ich kann da nicht essen.«
    »Wegen der paar Ameisen oder warum? Magst du keine Zigeunermusik, oder was ist jetzt dein Problem? Ist das nicht alles ein wenig übertrieben?«
    Astrid küsst ihn flüchtig und zieht ihn Richtung Ausgang.
    »Ich muss hier raus. Ich brauche frische Luft.«

Tee an der Elbe
    Der Wagen schnurrte nicht, er brummte die letzten Kilometer von Perleberg nach Wittenberge wie eine dicke Fliege. »Meine Mutter liebt diese Karre, obwohl sie fünfundzwanzig Jahre alt ist und dauernd kaputt«, hatte Julius beim Einsteigen gesagt und dabei das Blech gestreichelt. Ein 311er Wartburg sei das einzige Ostauto, das ihre Augen nicht beleidige. Das Dach und die obere Hälfte der Türen waren tiefblau, und unten herum war der Wagen weiß. Wir saßen meinetwegen in diesem Wartburg, der tatsächlich elegant aussah mit geschwungenen Kotflügeln wie breite Flossen. Allein wäre Julius mit dem Motorrad gefahren, und ich fühlte immer noch das warme Gefühl des Stolzes in mir. Jetzt fuhr er wortlos, in sich versunken, und blickte nur manchmal zu mir rüber, ohne dass sich dabei seine Miene änderte.
    Er wollte nicht, dass ich mitkomme nach Wittenberge, um seinen Bruder kennenzulernen und seine Oma. »Wozu das?« – »Um zu wissen, wie sie sind, und um bei dir zu sein«, hatte ich geantwortet und noch gedacht: »Und weil du in drei Monaten zur Fahne musst und ich dich dann überhaupt nicht mehr sehe. Nur noch alle zehn Wochen oder so, wenn du das überhaupt willst.«
    Wir lagen auf der Wiese vor dem Forsthaus in der Sonne. Katharina lief unschlüssig mit einer Super 8-Kamera durch den Garten. Sie trug einen Jeansrock und ein hellrotes verwaschenes T-Shirt, und ihre Haare waren verstrubbelt vom Baden. Sie wollte uns filmen, mich und Julius, aber der hatte das barsch abgelehnt, bevor ich auch nur verstand, worum es überhaupt ging. »Ich bin kein Zirkuspferd, Katharina, echt. Such dir irgendwen anders.«
    »Ach, komm schon«, sagte sie und zeigte auf den Wald um uns herum. »Wen soll ich mir hier sonst suchen? Ihr seid so schön, ihr beide. Wirklich, wie junge Pferde seht ihr aus.«
    »Lass gut sein, Katharina. Geh in dein Atelier und mal oder trommel oder film Vögel oder was auch immer, aber lass uns in Ruhe.« Zumindest hatte er »uns« gesagt. Katharina war abgerauscht und rumorte tatsächlich in ihrem Atelier herum.
    Julius stand auf und sah auf mich herunter. Ich musste die Augen zusammenkneifen, weil die Sonne direkt neben seinem Kopf stand. »Ich sehe meinen Bruder einmal im Jahr. Für eine Woche. Wir haben da Dinge zu bereden, und außerdem ist es auch saueng bei Oma, und was sollen wir denn da machen?«
    »Du nimmst mich mit und sagst, dass ich deine Freundin bin, und was wolltet ihr denn ohne mich machen?«
    »Was weiß ich? Baden, Fahrrad fahren, angeln.«
    »Na, das kann ich auch. Und beim Angeln bin ich ganz still, damit die Fische beißen.«
    Er lachte zumindest, aber sagte dann doch: »Nee, ich weiß nicht. Ist doch nur eine Woche. Dann bin ich wieder hier.« Er drehte sich um, sah auf den See, und bevor er losgehen konnte, setzte ich mich auf seinen rechten Fuß und umklammerte sein Bein. Es war warm, und die sandbraunen Haare kitzelten meine Wange. Julius sah unschlüssig an mir herunter wie auf etwas, in das er aus Versehen hineingetreten war, und dann ging er einfach Richtung See mit mir auf seinem Fuß. Ich lachte auf, hielt mich fest,

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