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Was kostet die Welt

Titel: Was kostet die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel
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aber nie mitbekommen, wie sich das äußert. Ich kenne ihn nur als stillen und ausdauernden Zecher mit gut
trainiertem Schluckmuskel. Wenn man in einem Lexikon nach dem Begriff »Durst« sucht, ist da bestimmt ein Foto von Psycho-Heiko.
    Er existiert für mich nur als Barfliege, ich weiß nicht mal, ob ich ihn schon mal bei Tageslicht gesehen habe. Ich hätte eher erwartet, dass er sofort zu Staub zerfällt, wenn seine dünne gelbe Pergamenthaut mit der Sonne in Berührung kommt. Jetzt haben seine Wangen einen leicht rötlichen Touch, und er sitzt auf einem Mountainbike, was nun wirklich gar nicht zu ihm passt.
    Â»Hallo Heiko. Wie geht’s?«
    Â»Gut, und selbst? Was machst du hier?«
    Â»Abhängen. Und du?«
    Â»Bin auf dem Weg nach Hause. Mann, long time no see. Ich dachte schon, du hättest dich abgesetzt oder so was.«
    Â»Ja, ich war’ne Weile unterwegs.«
    Â»Hab ich gehört. Wo warste denn gewesen?«
    Â»Ach, so hier und da.«
    Â»Erzähl mal. Auch in den Staaten, meinte Holger.«
    Â»Ja.«
    Â»Richtiger Globetrotter, was?«
    Â»Na ja.«
    Â»Und, wie war’s?«
    Â»Gut war’s.«
    Â»Ja, lass dir nicht alles aus der Nase ziehen.« Heiko lächelt. Das kann der also auch?
    Â»Erzähl ich die Tage mal. Ich bin gerade auf dem Sprung«, lüge ich.
    Â»Okay. Arbeitest du denn mal wieder, oder haste das jetzt nicht mehr nötig?«
    Â»Doch, doch. Ich werd mir nachher mal neue Schichten holen.«

    Â»Alles klar, dann sieht man sich später, machet jut.«
    Â»Ja, bis später, Heiko.«
    Â 
    Hallo Psycho-Heiko, alte Saufziege.
    Eigentlich pflege ich ja keinen privaten Kontakt zu Stammkunden, und ich hab jetzt auch gar keinen Bock, mich mit dir zu unterhalten, aber wenn du’s genau wissen willst: Ich war Weihnachten mit Holger und Anne in Portugal, im Januar ein verlängertes Wochenende in Krakau, und dann habe ich verschiedene kürzere Trips gemacht, nach Paris, Bilbao, Barcelona, Madrid, London, Stockholm, Oslo. Dann war ich in Nordafrika. Marokko, Tunesien, Ägypten, und rüber nach Israel.
    Dort habe ich eine Frau aus Hannover namens Verena kennengelernt und bin fast zweieinhalb Monate mit ihr durch die USA gefahren. Einmal die Westküste rauf und runter, nach Mexiko rein, dann im Zickzack durch den Süden bis zur Ostküste, da hoch und noch zwei Wochen in New York abgehangen, bei Brian, einem Kumpel von Holger, der war mal eine Weile in Berlin, vielleicht hast du ihn mal im Radetzky gesehen.
    Seit einer Woche bin ich jetzt wieder hier und komm nicht so richtig klar. Weiß nicht, warum.
    Â 
    Das alles sage ich natürlich nicht, weil ich mir dann nur vorkommen würde wie ein kosmopolitischer Angeber und Psycho-Heiko wahrscheinlich noch stundenlang an der Backe hätte. Stattdessen schnüre ich mir die Schuhe zu, damit er glaubt, dass ich wirklich gerade abhauen wollte. Er radelt weiter, und ich gehe tatsächlich. Ich stehe einfach auf und laufe los, obwohl ich das doch gar nicht vorhatte.
    Irgendwie habe ich mich nicht mehr unter Kontrolle. Es ist, als würde ich nur noch auf Impulse reagieren. Der Körper tut, was er will, und auch mein Kopf hat sich selbstständig
gemacht. Plötzlich stehe ich vor meiner Haustür, gehe die Treppen hoch, stecke den Schlüssel ins Schloss, stelle den Fernseher an und lasse mich aufs Sofa fallen. Und frage mich, was ich hier eigentlich mache, da läuft doch sowieso nur Schrott.
    Â 
    Am späten Nachmittag werde ich wieder wach, schalte den Fernseher aus und gehe zurück zum Kanal, wo ich mich auf dieselbe Bank setze, auf der ich vor ein paar Stunden schon saß. Irgendwie zieht es mich immer wieder hierher.
    Wenigstens bin ich nicht der Einzige, dem es so geht. Auf der anderen Bank wartet schon mein Kollege, der Nichtstuer. Der Nichtstuer hat das Äußere eines Obdachlosen: weiße Haare, weißer Bart, fleckiger Pullover, sackartiger Anorak, schorfige Füße in ausgelatschten Lederslippern und dazu eine Jeanshose im Stonewashed-Look, der vor zwanzig Jahren mal angesagt war. Die Hose sieht aus, als wäre sie kurz nach dem Mauerfall gekauft und seitdem auch nicht mehr ausgezogen worden.
    Der Nichtstuer sitzt jeden Abend hier. Er liest nicht, er schreibt nicht, er telefoniert nicht, er schläft nicht, er redet nicht. Er hockt einfach nur da. Auch die vorbeiziehenden Menschen scheinen ihn nicht im Geringsten zu

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