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Was kostet die Welt

Titel: Was kostet die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel
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zwischen uns. Also fühle dich nicht gestresst von mir. Du fühlst dich doch nicht gestresst von mir, oder?
    Ich will nur sagen, ich würde mich freuen, wenn wir uns bald wiedersehen, ich mag dich sehr, ich genieße jede Sekunde mit dir.
    Ich bin mittlerweile wieder gut zu Hause angekommen. Heute Abend gehe ich mit Lisa und Nadine ins Open-Air-Kino. Die fragen auch schon alle nach dir. Vielleicht habe ich ein bisschen zu viel von dir geredet … Ich fänd’s echt schön, wenn du jetzt hier wärst.
    Also, auf bald und schönen Abend,
    deine Verena
    Â 
    PS: O Mann, wahrscheinlich findest du diese Mail gerade extrem uncool. Ich kann förmlich sehen, wie du beim Lesen die Augen verdrehst. Trotzdem werde ich
sie jetzt abschicken. Du brauchst mir nicht zu antworten, wenn du nicht willst. Aber freuen würde ich mich darüber schon. Ich schätze, das weißt du.
    Ich bekam leicht schwere Schultern, weil ich beim Lesen tatsächlich die Augen verdreht hatte. Was aber nicht böse gemeint war. Ich hatte sogar angefangen, ihr zu antworten, doch dann kam mir das alles so lahm vor. Ich dachte, ich müsste sie wenigstens anrufen, und darauf wiederum hatte ich in dem Moment überhaupt keine Lust - und habe seitdem auch keine Lust drauf bekommen.
    Menschen, die ich kenne, kann ich gerade einfach nicht ertragen. Ich will ihnen nichts erzählen, und ich will nichts von ihnen hören. In Gesellschaft des Nichtstuers dagegen fühle ich mich gleichermaßen geborgen und in Ruhe gelassen. Silvia würde jetzt wieder mit Begriffen wie »Verbindlichkeit« und »Verantwortung« kommen, damit habe ich ihrer Meinung nach nämlich ein Problem.
    Ich halte auch das für Quatsch. Allerdings kann es nicht allein der Jetlag sein, der mich in diesen merkwürdigen Zustand versetzt. Da ist noch irgendetwas anderes, das vom Hinterkopf aus Körper und Geist lähmt.
    Es ist, als hätte man etwas nicht zu Ende gebracht. Als gäbe es im Kino zehn Minuten vor Ende des Films einen Stromausfall, und obwohl man das Ende kennt, muss man den Film noch einmal sehen, weil es einem einfach keine Ruhe lässt, so aus der Handlung geschmissen worden zu sein.
    Es kommt mir vor, als wäre ich noch gar nicht wieder da. Ich bin auf einem weit entfernten Planeten, und niemand schafft es, mich dort abzuholen.
    Vorgestern habe ich mich mit Holger und Itchy getroffen. Ich hätte ja eigentlich eine Menge zu erzählen gehabt,
schließlich war ich lange weg. Vielleicht zu lange. Wir haben bei Holger ein bisschen Musik gehört und Bier getrunken. Später sind wir noch ins Radetzky, und Yolanda hat gefragt, wann ich wieder arbeiten könne. Ich sagte ihr, ich würde mich die Tage melden, was ich aber immer noch nicht gemacht habe. Dabei brauche ich die Schichten, ich muss schließlich meine Miete zahlen.
    Ach ja, die Miete.
    Da fällt mir ein, auf dem Erbkonto müssten noch knapp tausend Euro sein. Die hatte ich fast vergessen. Und auf einmal wird mir alles klar: Das Geld meines Vaters, es ist noch nicht weg!
    Tausend Euro. Das ist viel Geld, aber dann auch wieder nicht. Ich könnte es gut gebrauchen, für die Miete, zum Leben. Ich könnte mir auch ein paar Dinge kaufen, die ich schon lange haben will: einen vernünftigen Schreibtisch, eine neue Matratze, einen richtig guten Anzug. Oder ich könnte den Betrag einfach auf dem Konto lassen, als Puffer, um nicht mehr ständig mit einem Fuß im Dispo zu stehen.
    Das alles wäre sinnvoll, keine Frage. Aber es geht nicht. Ich habe mir damals an der Algarve geschworen, das Erbe meines Vaters fürs Reisen auszugeben. Und zwar komplett. Fast ein halbes Jahr lang hat seine Kohle mich jetzt über den Globus getragen. Ich habe Flüge davon bezahlt, Mietwagen und Hotels. Auch Restaurants, ein paar Klamotten, Bücher, Platten. Oft habe ich für Verena mitgezahlt. Das ist okay, fällt alles unter Reiseausgaben, weil ich das Geld in fremden Ländern ausgegeben habe. Mir hier etwas anzuschaffen wäre dagegen nicht okay. Ich weiß selbst nicht, woher dieser Dogmatismus kommt. Aber ich habe mir nun mal vorgenommen, seine Ersparnisse auf eine Weise zu benutzen, wie er es nie getan hätte.

    Wenn jetzt noch tausend Euro übrig sind, dann bin ich noch nicht fertig. Zwar fast, aber eben nicht ganz.
    Â 
    Vor der Sparkasse am Kottbusser Tor liegt ein Penner auf dem Bürgersteig. Eine Frau läuft mit ihrem Sohn daran

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