Das katholische Abenteuer - eine Provokation
Vor Spielbeginn
»Snobs bringen uns von der Religion ab,
heutzutage, wenn′s ihnen gelingt.
Ich scheiß auf sie. Und wünsch Dir Gott.«
Les Murray, Die letzte Begrüßung
Erschütternder kann unsere Diesseitsgläubigkeit – grenzenloses Wachstum, technologische Vernunft – nicht scheitern als mit dieser radioaktiven Wolke, die gerade auf Tokio zutreibt, während ich diese Zeilen schreibe. Ein apokalyptisches Scheitern. Heldenhaft arbeitet ein kleiner Trupp am Unglücksreaktor, die Übrigen tun, was sie in solchen Fällen können: beten. Zumindest versuchen sie es.
Dies ist das Buch eines Journalisten über Gott und die Welt. Es ist auch das Buch eines religiösen Journalisten. Ich weiß, das kann peinlich werden. Uns scheinen die Worte auszugehen, wenn wir über religiöse Erfahrungen reden, die bisweilen außergewöhnlich sind und bisweilen so schlicht wie die späten Songs von Johnny Cash. Wie schreibt man übers religiöse Ergriffensein? Bei uns verfällt man dann leicht der Esoterik oder dem Jargon der Ratgeberbücher.
Seltener ist der Gonzo-Stil, die Polemik, die katholische Provokation, die Achterbahnfahrt der Gefühle, der Wechsel aus Standpauken und Stoßseufzern. Dabei ist es doch so, dass Religion und Journalismus genau das gemeinsam haben. Jeder Leitartikel ist eine Standpauke, die gehalten wird aus der Anmaßung eines richtigen Lebens ins falsche hinein. Und dann die Stoßseufzer, die den Unbelehrbaren hinterhergeschickt werden. Oder dem Schicksal. Oder dem eigenen Leben. Was ist Religion anderes als ein Wechsel aus Standpauke und Stoßseufzer, aus Predigt und Verzagtheit, aus Gesetz und Gebet? So wurde sie immer verstanden.
Karl Marx hat die Religion den »Seufzer der bedrängten Kreatur« genannt. Und den »Geist in einer geistlosen Zeit«. Es ist meine tiefste Überzeugung, dass er recht hat, übrigens auch gegen sich selber, denn er hielt sich für einen abgeklärten Rechner. In Wirklichkeit war er ein Romantiker, der auf geschichtliche Erlösung setzte, ein Hegelianer, ein Paradiesbaumeister wie viele Intellektuelle und Schwärmer, die sich mitunter zu Menschenverächtern und Lagerbaumeistern abrichteten, solange das Projekt groß genug war, an dem sie mitwirken sollten.
Aber schon schweife ich ab.
Ich versuche, ein Lebensthema einzukreisen, in biografischen Erinnerungen, Polemiken, Essays, Reportagen.
Als Reporter war ich schon immer fasziniert vom religiösen Urbedürfnis der Menschen in allen Winkeln der Erde. Ob in der Baptisten-Messe in Harlem oder der Marienprozession im Amazonas-Gebiet oder im nächtlichen Warten in einer Synagoge mit der bangen Frage: »Was, wenn der Messias stirbt?«
Es gibt Gute und Böse in meinen Reportagen, und natürlich halte ich zu den Guten, aber bisweilen sind Gut und Böse nicht auseinanderzuhalten. Allerdings bin ich reflexhaft auf der Seite der Schwachen, da ist die Bergpredigt ein zuverlässiger Kompass.
Mich haben schon immer Menschen interessiert, die sich in eine andere Sphäre spannen. Die mit einem Bein in der Luft leben. Die Träumer, Romantiker, Dichter, Lebensdeppen, heiligen Idioten, ungelenken Stümper, Randmenschen, Größenwahnsinnigen, Kleinmütigen, Gottesvergifteten. Davon handeln die Reportagen in diesem Band. Das sind ihre Helden, die Paulus so benennt: »Was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt.«
Das Buch liegt in der Logik meiner Vorgängerbücher, in denen es um die Auflösung von Bindungen ging. Und wie in den Vorgängerbüchern greife ich zurück in meine Kindheit und versuche, mir zu erklären, wie ich wurde, wer ich bin, und warum ich glaube, was ich glaube. Nach der Vaterlosen Gesellschaft und den Deutschen also Das katholische Abenteuer.
Nach Familie und Nation nun der Glaube. Warum Glaube? Weil mich die Bekenntnisarmut unseres Betriebs anödet, diese Dauerironie, in der jeder Standpunkt zur Tänzelei wird und jeder Gläubige zur Lachnummer, der aus der Zeit gefallen ist. Wofür ich stehe? Hierfür.
Wir schwimmen in einem Ozean aus Relativierungen. Sinn macht ein solches Buch also nur, wenn es mit einem Bekenntnis verbunden ist. Mir imponiert Rousseaus Haltung, der sagte: »Ich werde meine Religion bekennen, weil ich eine habe. Und ich werde sie öffentlich bekennen, weil ich das Herz dazu habe.«
Zur Polemik: Es geht nicht ohne. Es gibt kein größeres Reizthema als Religion in diesen Tagen. Das Beten haben wir verlernt, aber nicht das Streiten. Denn Religion ist das, was uns blieb, in
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