Was wir sind und was wir sein könnten: Ein neurobiologischer Mutmacher (German Edition)
besonders stark, aber dafür schließt er auch niemanden aus, jeder kann sich mit ihnen verbinden, überall auf unserem Planeten. Sie sind unsere gegenwärtigen Potentialentfalter. Ihnen gehört die Zukunft.
Ausstieg
Die Neurowissenschaft ist mit ihren jüngsten, hier kurz dargestellten Erkenntnissen in einen Bereich vorgestoßen, in dem sie nun selbst mit den Grenzen ihrer bisher vertretenen naturwissenschaftlichen Denkansätze konfrontiert wird. Ihre eigenen Befunde machen deutlich, dass es objektiv nicht möglich ist, die im Gehirn eines Menschen ablaufenden Prozesse, also die dort messbaren neuronalen Aktivierungsmuster zu interpretieren, ohne die Bedeutung der subjektiven Bewertung, der subjektiven Verarbeitung und der subjektiv gemachten Erfahrungen des betreffenden Menschen in die Auswertung der Befunde einzubeziehen. Was objektiv messbar ist, wird also durch die im »Objekt« wirksamen, subjektiven Kräfte und Faktoren erzeugt oder zumindest in einer objektiv nicht kontrollierbaren Weise beeinflusst.
Damit sind die im Gehirn eines anderen Menschen messbaren Prozesse also nicht objektiv, sondern werden subjektiv vom jeweiligen Untersuchungsobjekt – also der Person, die darüber entscheidet, wie sie in dieser Situation ihr Gehirn benutzt – bestimmt und in eine bestimmte Richtung gelenkt.
Doch das ist erst das halbe neue Bild. Im Zusammenhang mit der Frage nach der Objektivität neurowissenschaftlicher Befunde gerät nun auch erstmals all das ins Blickfeld, was sich im Gehirn des Neurobiologen selbst abspielt, der scheinbar objektive Untersuchungen durch den Einsatz objektiver Messverfahren durchzuführen glaubt: Seine bisherigen subjektiven Erfahrungen, seine daraus abgeleiteten subjektiven Annahmen, seine unter Rückgriff auf subjektiv entwickelte Modellvorstellungen und sein gesamtes Repertoire eigener, also ebenfalls subjektiver Überzeugungen, Einstellungen und Erwartungen. Diese subjektiven Faktoren haben einen entscheidenden Einfluss auf die Auswahl der jeweiligen Fragestellung, die er untersucht, auf die Abgrenzung interferierender Variablen, auf die Konzeption und Durchführung der jeweiligen Untersuchung und (leider allzu oft sogar noch) auf die Interpretation der erhobenen Messdaten.
In der modernen neurobiologischen Erkenntnissuche erweist sich deutlicher als in allen anderen naturwissenschaftlichen Disziplinen, dass zwischen Subjekt und Objekt keine klare »objektive« Trennlinie gezogen werden kann. Immer ist der vermeintliche objektive Untersucher auch ein subjektiver Gestalter des zu untersuchenden Objekts, und immer ist das untersuchte Objekt ein Subjekt, das sein Gehirn auf eine bestimmte, ihm eigene Weise benutzt.
Eine zweite Ebene, auf der die bisherigen Vorstellungen vermeintlich klarer Grenzlinien verschwimmen und ineinander fließen, wird offenbar, wenn man die bisherigen Versuche der Neurowissenschaftler betrachtet, das menschliche Gehirn als isoliertes Organ außerhalb des Kontextes zu untersuchen, in dem es sich herausgeformt hat und in den es eingebettet ist.
So ist in den letzten Jahren deutlich geworden, wie eng und untrennbar das Gehirn und der Körper miteinander verbunden und voneinander abhängig sind und sich wechselseitig auf allen Ebenen beeinflussen. Gehirn und Körper bilden eine untrennbare Einheit, und jeder Versuch, das eine zu beschreiben, ohne das andere einzubeziehen, muss daher als unzulässige Reduktion betrachtet werden. Das Gleiche gilt, auch das machen die Erkenntnisse der Neurobiologie deutlich, in gleicher Weise für alle Versuche, das Gehirn eines Menschen außerhalb des sozialen Kontextes zu betrachten, in dem der betreffende Mensch aufgewachsen ist und in dem er lebt.
Dieser soziale Kontext ist immer auch ein historisch gewachsener kultureller Hintergrund, der – auch das zeigen die Erkenntnisse der Hirnforscher – einen entscheidenden Einfluss darauf hat, wie und wofür ein Mensch sein Gehirn benutzt und damit auch nutzungsabhängig strukturiert.
Unser Gehirn ist also in viel stärkerem Maß als bisher angenommen ein soziales, kulturell geformtes Konstrukt. Es wird daher weder in seiner inneren Struktur noch in seiner Funktionsweise zu verstehen sein, solange es isoliert und abgetrennt von den formenden und strukturierenden Einflüssen der sozialen Gemeinschaft betrachtet wird, in der der betreffende Mensch aufgewachsen ist und in der er lebt. Wo also beginnt und wo endet das individuelle Gehirn? Wo ist und wer zieht die Grenze für das,
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