Wehe wenn der Wind weht
das sehr.
Unglücklich drehte er sich um und machte sich auf den Rückweg zur Hütte, lauschte beim Gehen auf die Stimmen der Kinder. Nicht auf die Stimmen der Kinder, mit denen er gerade gesprochen hatte, sondern auf die der anderen Kinder, der Kinder, von denen seine Mutter ihm erzählt hatte.
Die toten Kinder. Es war der Klang ihrer Stimmen gewesen, der ihn hinaus in die Nacht gelockt hatte, während seine Mutter schlief.
Die toten Kinder, so schien es Juan, mochten ihn lieber als die lebenden. Die toten sprachen mit ihm und liefen nie vor ihm davon.
Manchmal wünschte er sich, alle Kinder wären tot.
Diana Amber erwachte und warf einen Blick auf die Uhr neben ihrem Bett. Es war drei Uhr morgens und sie lag einen Augenblick lang reglos da und lauschte dem Wind.
Er war irgendwann aufgekommen, während sie schlief, und jetzt stöhnte er in der Nachtluft, und seine trockene, prickelnde Hitze erstickte sie. Diana spürte, wie Christie Lyons sich dicht neben ihr im Schlaf regte, sich dann umdrehte.
Sie schlang einen Arm um das Kind und zog es näher an sich, drückte den Kopf des Kindes gegen ihre Brust. Die Anwesenheit des kleinen Mädchens spendete ihr Trost. Irgendwie fühlte sie sich durch Christies Körper, der ihren eigenen berührte, erst vollständig.
Sie schloß die Augen und versuchte, wieder einzuschlafen, doch der Wind ließ das nicht zu. Und tief im Innern ihres Verstandes keifte jemand mit ihr.
Ihre Mutter.
Ihre Mutter war nicht damit einverstanden, daß Christie bei ihr schlief. Sie hatte Edna versprochen, daß Christie sogar heute nacht in der Kinderstube sein würde. Am Nachmittag hatte sie das Bett in der Kinderstube gemacht, aber als sie dann das schläfrige Kind nach oben gebracht hatte, hatte sie es nicht allein lassen können.
Nicht in der ersten Nacht im Haus.
Statt dessen hatte sie es in ihr eigenes Zimmer gebracht und das kleine Mädchen in ihr Bett gelegt. Aber was nun, wenn ihre Mutter erwachte und durchs Haus wanderte? Widerwillig stieg Diana aus dem Bett, streifte sich einen Morgenmantel über und beugte sich dann nieder, um das schlafende Kind hochzunehmen.
Während sie aus dem Bett gehoben wurde, schlang Christie instinktiv ihre Arme um Dianas Nacken, und sie murmelte etwas in Dianas Ohr.
Mama? Hatte sie sie Mama genannt?
»Ich bin da, Liebling«, flüsterte Diana. »Mama ist ja da.« Sie verließ ihr Schlafzimmer und bewegte sich lautlos durch den Korridor zur Hintertreppe, dann hinauf in die zweite Etage. In der Kinderstube war das bereits aufgeschlagene Bett in Mondlicht getaucht, aber Diana schien es, als sei es für Christie viel zu groß. Sie zögerte, trug Christie dann durchs Zimmer und legte sie in das Kinderbett. Christie, die nur undeutlich mitbekam, was geschah, kauerte sich in der Enge der Gitter zusammen.
Dann ging Diana zum Bett, nahm das obere Laken ab und deckte damit Christies kleinen Körper zu. Sie musterte eine Weile Christies Gesicht, beneidete sie um den Frieden, den sie darin sah, verließ dann die Kinderstube und verschloß leise die Tür hinter sich.
In ihrem eigenen Zimmer erschien Diana ihr Bett plötzlich riesig und verlassen. Sie dachte an Christie, die oben auf der Etage allein schlief.
Was, wenn sie aufwachte?
Würde das nicht erschreckend für sie sein? Doch als der Wind an dem alten Haus rüttelte, erinnerte sich Diana daran, wie sie noch selbst ein Kind gewesen war und wie sehr sie das Kinderzimmer geliebt hatte. Obwohl seine rosafarbene und weiße Heiterkeit ihr niemals Frieden gebracht hatte, war sie froh über den Umstand, daß sie hoch droben war, fern vom übrigen Haus. In dieser Geborgenheit hatte sie sich manchmal unter den Dachsparren fast sicher gefühlt.
Aber es hatte auch andere Zeiten gegeben.
Sie verdrängte die Erinnerungen, drehte sich um und begrub ihr Gesicht im Kissen.
Sie konnte sich nicht erinnern. Sie wollte sich nicht erinnern. Es war alles so lange her und die Erinnerungen waren spärlich und sie würde sie lassen, wo sie waren. Ungestört, vergessen.
Obwohl sie wußte, daß sie nicht wirklich vergessen waren. Sie waren nur verdrängt, um ein andermal wieder hervorgeholt zu werden. Aber nicht jetzt.
Edna Amber lag in ihrem Zimmer ebenfalls wach, lauschte dem Wind und dem Knarren der Stiege. Sie wußte, Diana versuchte, sie zu hintergehen, aber das würde ihr nicht gelingen.
Diana hatte immer versucht, sie zu hintergehen, schon als sie ein kleines Kind war, aber das war ihr nie gelungen. Die heutige Nacht
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