Weihnachtsengel gibt es doch
vielleicht in Büchern. Und natürlich in Träumen.
Nur in Träumen konnte ein unscheinbarer, weiblicher Bücherwurm die Aufmerksamkeit von jemandem wie Eddie Haven we cken.
Selbst wenn diese unscheinbare Frau ihm einmal das Leben gerettet hatte. Sie seufzte schulterzuckend und erstickte schnell das schmerzende Flüstern der Erinnerung.
Seit sehr langer Zeit hatte sie keine Verabredung mehr gehabt. Sie war sehr anspruchsvoll, zumindest redete sie sich das ein, und dann waren da noch ihre viel zu neugierigen Geschwister und Freunde. Bei der Erinnerung an ihre letzten beiden Verabredungen zuckte sie innerlich immer noch zusammen – ein Abend mit einem Briefmarkensammler namens Alvin und ein ganz schlechtes Konzert mit Walter Grunion im letzten Jahr. Sie war mit Kopfschmerzen nach Hausegekommen und mit dem festen Entschluss, nicht mehr mit Männern auszugehen, nur weil es von ihr erwartet wurde. Sie würde von nun an aufhören, Ja zu Verabredungen mit Männern zu sagen, an denen sie nicht interessiert war, nur weil sie in den Zwanzigern war – gerade so eben noch – und man so etwas einfach tat.
Die Menschen in der Bäckerei, die kamen und gingen, beachteten Maureen kaum. Was ihr nur recht war. Sie hatte es noch nie gemocht, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu sein. Vor langer, langer Zeit hatte sie mal davon geträumt, im Scheinwerferlicht zu stehen. Doch das Leben hatte sie von dieser Sehnsucht schnell geheilt. In gnädig jungen Jahren hatte sie gelernt, dass bekannt zu sein und erkannt zu werden kein Ersatz dafür waren, geliebt und geschätzt zu sein. Maureen war unauffällig und bescheiden; so fühlte sie sich wohl. Sich unterhalb des Radars zu bewegen war ihr nie schwergefallen. Natürlich hatte sie auch T-Shirts getragen, auf denen Sprüche standen wie „Unklarheiten vermeiden“, und einen Button zur Unterstützung der intellektuellen Freiheit, aber irgendwie schien das nie jemand wahrgenommen zu haben. Vielleicht wurde das Trendige an ihrem T-Shirt auch durch den handgestrickten Pullover ihrer Lieblingstante und die Tweedröcke, dicken Strumpfhosen und Stiefel überstrahlt. Sie wusste, dass ihr Kleidungsstil schlicht und langweilig war, aber es störte sie nicht. Mode war etwas für Leute, die nach Aufmerksamkeit lechz ten.
Ab und zu traf ihr Blick den eines anderen Gastes, und dann nickte man sich höflich und stumm zu. Sie war die Art Mensch, die andere nur indirekt erkannten. Sie sah irgendwie bekannt aus, wie jemand, den man ab und zu traf, aber nicht wirklich einordnen konnte.
Das gab Maureen immer wieder Rätsel auf, denn sie hatte ein ausgezeichnetes Gedächtnis für Gesichter und Namen. Das da hinten zum Beispiel war Kim Crutcher, die einenKaffee trank, während ihre Freundin Daphne McDaniel an einem Donut knabberte, der mit Streuseln in allen Regenbogenfarben bestreut war. Beide Frauen waren regelmäßige Besucher der Bücherei. Genau wie Mr Teasdale, der auf der anderen Seite des Cafés saß und verträumt aus dem Fenster schaute. Er nutzte regelmäßig den Service für Sehbehinderte der Bücherei. Ohne große Mühen konnte Maureen die Namen der Kinder nennen, die sich nach dem Hockeytraining eine Stärkung gegönnt hatten und nun zum Ausgang drängten: Chelsea Nash, Max Bellamy, AJ Martinez, Dinky Romano.
Sie fragte sich, ob Eddie seine zweifelhafte Berühmtheit genoss. Vielleicht würde sie jetzt, wo sie zusammenarbeiteten, eine Chance kriegen, ihn danach zu fragen.
Oder auch nicht.
Traurige Tatsache war, dass sie vermutlich zu schüchtern war, ihn nach der Uhrzeit zu fragen, geschweige denn danach, wie es ihm mit den Wechselfällen des Ruhms ging. Sie wusste viel über Eddie Haven, und doch kannte sie ihn nicht. Vielleicht würde sich das in den kommenden Wochen bis Weihnachten ändern.
Oder auch nicht.
Sie fragte sich, ob es möglich war, jemanden kennenzulernen, ohne sich selber zu offenbaren. Und interessierte es sie genug, um es zu versuchen?
Sie las eine Seite in ihrem Buch und versuchte, nicht auf die erleuchtete Uhr an der Wand zu schauen. An einem nebenstehenden Tisch brandete Gelächter auf, und das Trällern einer kindlichen Stimme schwebte durch das geschäftige Café. Zusammen mit der Bücherei und der Herz-der-Berge-Kirche war die Sky River Bakery einer ihrer Lieblingsplätze im Ort. Es war unmöglich, in einer Bäckerei traurig oder deprimiert zu sein. Irgendetwas an dem zuckrigen Hefegeruch schien die Menschen mit einer tiefen Gelassenheit zuerfüllen, denn jeder, den
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