Weinland & Stahl
Auswirkung all dessen drang ihm nicht zu Bewusstsein.
Sardon sah...
... ein Weib von überirdischer Schönheit, das ihm nahestand wie kein anderes Wesen – und das er getötet hatte. Blitz und Donner. Das Wüten archaischer Kraft hatte ihn fortgetrieben. Die Entladung einer Macht, wie sie nur einen...
Muttermörder
treffen mochte.
Sardon sah...
... den Korridor durch die Zeit, durch den er auf seinem Rückweg in die Gegenwart wie von fremder Kraft getragen worden war, als wollte etwas nicht, dass Hindernisse ihn aufhielten.
Sardon sah...
... den Lilienkelch, der ihm am Ende des Weges förmlich in Hände gefallen war, ohne dass er nach der langen Jagd noch darum kämpfen musste.
So einfach...
viel zu einfach!
Es war – nicht richtig. Die Macht, deren Präsenz er dort am Anbeginn aller Zeit gespürt hatte – wie konnte sie ihm solcherart den Weg bereiten, ihm Mittel und Kraft geben zu tun, was doch wider ihre Schöpfung war?
Vielleicht, so träumte Sardon, war das Interesse jener Kraft an dem, was sie geschaffen hatten, nicht annähernd mehr so groß, wie es allweil gepredigt wurde und geschrieben stand. Vielleicht war sie zu oft enttäuscht worden, um ihr Werk noch unter besonderen Schutz zu stellen, um ihm Orientierung zu geben in einer Zeit und einer Welt, die lange schon nach anderen Regeln lebte und gedieh. Eine Welt, die...
...
gottlos
war?
Sardon erwachte.
Doch das klebrige Gespinst, in dem seine Gedanken sich verstrickt hatten, nahm er mit herüber. Noch immer stritten sich die Empfindungen in ihm, taumelte sein Bewusstsein zwischen Zweifel und Gewissheit. Noch immer wusste er nicht, ob er recht tat im Sinne seines Volkes – oder in dem einer ganz anderen Macht.
Wie von selbst beugte sich der Vampir vor und langte in den Beutel, der zu seinen Füßen lag. Darin, eingebettet in uralte Erde, ertastete er den
Kelch
. Als würde er ihm entgegen gereckt, schlossen sich Sardons Finger um das kalte Gefäß. Und als er es herausnahm, erlosch der Widerstreit in seinem Innern.
Alle Unsicherheit verließ seinen Körper und schien in die Kelchöffnung zu strömen, wo sie zu Nichts gerann.
Sardon hob den Lilienkelch an und betrachtete ihn mit einem Gefühl, das tausendfach erhabener war als jenes, das er sich ausgemalt hatte für den Fall, dass er den Gral der Alten Rasse dereinst wieder in seinen Besitz nehmen würde.
Für jeden Außenstehenden musste der Kelch nichts anderes als ein zwar eigenwilliges, aber nichtsdestotrotz eher unscheinbares Gefäß sein. Sein Aussehen ließ nicht erahnen, welche Macht ihm innewohnte oder welchem Zweck er diente.
Sardon drehte den Kelch, der in seiner Form einer Lilienblüte nachempfunden war und aus dunklem, rauen Material bestand, in den Händen. Sein Blick verlor sich darin. Er wartete, dass der Kelch ihm Eindrücke ihres gemeinsamen früheren Wirkens heraufbeschwor; dass ihm das Purpurlicht ein Zeichen gab.
Vergebens.
Nur Schwärze füllte den Kelch.
Leer und tot...
Vielleicht musste die Kelchmagie erst geweckt werden nach all der Zeit. Das Blut eines Vampirs musste hineinfließen, damit Leben daraus entströmen könnte.
Nicht mehr lange, und es würde soweit sein.
Sardon sah zum Fenster hinaus, als hielte er schon Ausschau nach dem Widerschein der Lichterglocke über Kairo.
Kairo...
Nicht ohne Eigennutz hatte Sardon diese Stadt gewählt, um den Kelch nach fast dreihundert Jahren von neuem einzusetzen, um selbst wieder Reisender in Sachen Leben und Tod zu werden.
Denn dort, in der Millionenmetropole, hatte er vor Wochen jemanden in der Obhut der Sippe zurückgelassen, nach dem er sich sehnte mit jedem Schlag seines schwarzen Herzens.
Ein Wesen, so zart und schön, dass sie nur für ein Leben an seiner Seite bestimmt sein konnte. An der Seite des nicht nur ältesten, sondern auch wieder
mächtigsten
Vampirs.
»Mr. Sanders?«
Die Stimme weckte ihn aus süß schmerzender Sehnsucht. Doch die Wirklichkeit war nicht minder verlockend.
Ohne sich umzudrehen, betrachtete er im Fensterglas das einsame Spiegelbild der aparten Stewardess, die sich zu ihm her beugte. Besondere Aufmerksamkeit widmete 'Hector Sanders' – so der Name, unter dem er reiste – jedoch dem appetitanregenden Pulsieren am Hals der Schönen...
»Wir werden in einer halben Stunde in Kairo landen. Wünschen Sie etwas zu trinken?«, fragte das uniformierte Mädchen.
Sardon wandte sich mit abgründigem Lächeln um.
»Trinken? Warum eigentlich nicht? Kommen Sie mit.«
Er erhob sich und
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