Weinland & Stahl
Toilette hatten kommen sehen. Nur im Augenblick des Geschehens musterten sie den hochgewachsenen Mann mit der kreuzförmigen Narbe auf der rechten Wange angstvoll, dann kam etwas wie eine finstere und doch unsichtbare Wolke über sie, die ihre Gedanken des Moments gierig fraß.
Nun, da er den Brand in sich fürs erste gelöscht hatte, drängte es Sardon zu anderen, höheren Taten.
Zur Schaffung neuen, vampirischen Lebens.
Doch nicht einmal Sardon ahnte,
wie
dringend Hüter und Kelch in Kairo, wohin ihn sein erster Weg nach dem Rückgewinn des Unheiligtums führen würde, tatsächlich gebraucht wurden.
Er wusste nicht, wie es in dieser Stadt zuging –
– seit der Tod nach ihren geheimen Herrschern gegriffen hatte.
Sydney, Australien
Die Finsternis lauerte nicht nur draußen, hinter den Scheiben des Taxis – sie schwang auch immer noch
in
dem attraktiven weiblichen Fahrgast nach wie eine eisige Melodie. Wie ein Ton, der die Frau mit der wildzerzausten Mähne, den jadegrünen Augen und den vollen, verführerisch geschwungenen Lippen aus grauer Vorzeit herüber in die Gegenwart verfolgt hatte...
Die Bemerkungen, die der Taxifahrer, ein dunkelhäutiger Maori, den es offenbar von Neuseeland hierher verschlagen hatte, über das regnerische Wetter machte, ließ sie unerwidert. Sie war nicht in der Stimmung für
small talk
, und die Strecke vom Flughafen Kingsford Smith in die Stadt war der Heimkehrenden immer noch so vertraut, als hätte sie diesen Weg das letztemal erst gestern genommen.
In Wahrheit war es schon ein ganzes Jahr her...
... nicht gerechnet all die Jahrtausende, die sie mit Hilfe eines magischen Tunnels, dessen Zugang sich bei den Ruinen von Uruk befand, zurückgelegt hatte...
Der Tunnel existierte nicht mehr. Doch die Antworten, die sie dort in der Vergangenheit erhalten hatte, waren wichtig gewesen, um endlich Klarheit über sich selbst zu gewinnen.
Noch wichtiger aber war das, was dort
geschehen
war – und an das sich Heaven nur noch verschwommen erinnerte. Es war, als hätte sich nicht nur der Zeitkorridor hinter ihr verflüchtigt, sondern mit ihm auch die Informationen, die in ihrem Gehirn gespeichert gewesen waren.
Was war wirklich passiert, nachdem die Urmutter der Vampire Heaven enthüllt hatte, wie es zur Entstehung eines zweiten, dunklen Volkes neben den gottgewollten Menschen gekommen war? Was war geschehen, nachdem sie das Bewusstsein der Lilith in sich aufgenommen und die Begegnung mit Gott gesucht hatte, um ihn um Vergebung zu bitten?
Es
war
zu einer Begegnung gekommen.
Aber hatte Gott die ausgestreckte Hand von Adams erster Frau wirklich angenommen?
Heaven erinnerte sich nur noch daran, Gottes Haus – jene gleißende Energiesäule im Garten Eden – wieder verlassen zu haben. Und dass das Bewusstsein der reuigen Sünderin nicht mehr in ihr gewesen war.
Aber während des stundenlangen Aufenthalts in der Sphäre war ihr das zurückgegeben worden, was die Urmutter der Vampire ihr zuvor geraubt hatte, um den eigenen, aus der äonenlangen Gefangenschaft befreiten Körper zu stärken: ihre Jugend und Vitalität.
Als Hundertjährige hatte Heaven die Feuersäule betreten...
... und als biologisch nur etwa ein Viertel so alte Frau wieder verlassen dürfen!
Deshalb vermutete sie, dass die in der Säule wohnende Schöpfungsmacht Gnade hatte walten lassen. Dass Gott seine verstoßene Tochter wieder in sich aufgenommen und ihr verziehen hatte.
Aber was hieß das konkret für die Welt der Gegenwart, in die Heaven zurückgekehrt war?
Das Anliegen der Lilith war es gewesen, der Herrschaft ihrer geheimen Brut auf Erden ein Ende zu bereiten. Zwanzig Kinder hatte sie in das sumerische Uruk geboren, die als Hohe Wesen, als allseits verehrte Götter, viele hundert Jahre auf die Geschicke der Menschen Einfluss genommen hatten. Die sich von ihnen genährt und das Böse verbreitet hatten, das schon ihre Mutter in sich trug...
Das Hämmern ihres Herzens, das zwar langsamer als ein normales Herz schlug, aber sich immerhin regte, und ihr lautes Atemgeräusch schrak Heaven aus der Versunkenheit ihrer Gedanken auf.
Sie bemerkte den Blick des Fahrers im Rückspiegel und fragte sich, was er sich einbildete zu sehen.
Was immer es sein mochte, es entsprach nicht dem real darin wiedergegebenen Bild. Dem Bild einer Frau, von der nur die Kleidung klar erkennbar war. Alles, was unverhüllter Körper, nackte Haut oder Haar war, wurde von dem Spiegel als unheimlich schemenhaftes Zerrbild
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