Weißer Fluch: Band 1 (German Edition)
als wollte er wieder zuschlagen, aber dann wird sein Blick glasig. Er fällt schwer auf mich und bleibt einfach liegen.
Ich krieche rückwärts. Es ist mir egal, wie dreckig der Boden ist, Hauptsache, ich komme unter ihm weg. Er sieht blass aus und seine Lippen werden bereits blau.
Er ist tot.
Anton ist tot.
Ich starre ihn noch immer an, als Lila sich bückt und mir Toilettenpapier an den Mund drückt. Ich hatte noch gar nicht gemerkt, dass ich blute.
» Lila « , sagt Zacharov. » Komm jetzt, du musst hier raus. «
» Schon mal darüber nachgedacht, dass zu viel Schlauheit ungesund ist? « , fragt sie mich leise, ehe sie zu ihrem Vater geht.
Großvater hält sich das Handgelenk und beugt sich schützend darüber.
» Geht’s? « , frage ich, als ich aufstehe und mich an die Wand lehne.
» Das wird schon wieder. Komm raus hier. « , antwortet Großvater. Erst jetzt sehe ich, dass er rechts keinen Handschuh mehr trägt und der Ringfinger dunkel anläuft. Vom Nagel abwärts breitet sich Schwärze aus.
» Oh « , sage ich. Er hat mir das Leben gerettet.
Er lacht. » Was? Dachtest du etwa, ich schaffe das nicht mehr? «
Peinlicherweise hatte ich tatsächlich vergessen, dass er immer noch ein Todeswerker ist. Ich hatte das der Vergangenheit zugeordnet, aber er hat Anton mit einer einzigen Berührung getötet, indem er die Finger an seinen verletzlichen Hals drückte.
» Du hättest meine Hilfe annehmen sollen « , sagt Großvater. » Ich habe sie neulich nach dem Abendessen belauscht, nachdem sie mir was in den Wein gemischt hatten. «
» Lila, Barron « , sagt Zacharov. » Ihr kommt mit. Wir lassen Cassel und Desi kurz allein, damit sie sich waschen können. « Er sieht uns an. » Ihr wartet dann. «
Ich nicke, als sie gehen.
» Du hast eine Menge zu erklären « , sagt Großvater.
Ich drücke noch immer das Klopapier an meine Wange. Echtes Blut tropft aus meinem Mund auf mein Hemd, direkt neben das Theaterblut. Ich sehe auf Antons Leiche hinunter. » Du dachtest, ich stünde noch unter dem Gedächtnisfluch– deshalb hast du versucht, mich hier rauszuscheuchen, oder? «
» Was hätte ich denn sonst denken sollen? « , fragt Großvater. » Wie hätte ich denn darauf kommen sollen, dass ihr drei euch einen lächerlich komplizierten Plan ausdenkt? Und dass Zacharov eingeweiht war? «
Ich grinse mich im Spiegel an. » Keiner war in irgendwas eingeweiht. Ich habe Barrons Notizbücher gefälscht. Barron glaubt alles, was in diesen Heften steht. Ihm bleibt gar nichts anderes übrig, weil er so viele Erinnerungen verloren hat. «
Das habe ich in den letzten anderthalb Tagen gemacht. Dafür habe ich mir die Nächte um die Ohren geschlagen. Ich habe Seiten um Seiten Notizen in einer Handschrift geschrieben, die ich umso leichter fälschen konnte, weil ich sie so gut kannte. Dabei habe ich ein völlig neues Leben für Barron entworfen, in dem er das Oberhaupt eines Gangsterclans retten will, weil es sich um Lilas Vater handelt. Ein Leben, in dem meine Brüder und ich gemeinsam für ein hehres Ziel arbeiten.
Die einfachsten Lügen sind jene, von denen man sich wünscht, sie wären wahr.
Großvater runzelt die Stirn, aber als er kapiert, was ich getan habe, glätten sich seine Züge vor Verblüffung. » Willst du damit sagen, dass er sich gar nicht mit Zacharov getroffen hat? «
Ich schüttele den Kopf. » Nee, das denkt er nur. «
» Und hast du mit Zacharov zusammengearbeitet? «
» Lila wollte, dass wir das allein hinkriegen « , antworte ich. » Also noch mal nein. «
Er stöhnt. » Das wird ja immer schlimmer. «
Ich werfe einen letzten Blick auf Antons Leiche. Irgendetwas schimmert im Neonlicht. Neben Antons linker Hand liegt Zacharovs Krawattennadel. Er muss sie noch aus der Tasche gezogen haben.
Ich gehe in die Hocke und nehme sie an mich.
Als ich wieder aufstehe, lehnt Zacharov an der Tür. Ich habe ihn nicht kommen hören. » Cassel Sharpe « , sagt er müde. » Meine Tochter behauptet, das Ganze wäre ihre Idee gewesen. «
Ich nicke. » Mit einer echten Pistole hätte es besser geklappt. «
» Da sie sich das Ganze ausgedacht hat, sehe ich davon ab, dir die Hand abzuhacken, weil du meine Haut berührt hast « , sagt er schnaubend. » Eins will ich aber noch wissen: Seit wann weißt du, dass du ein Verwandlungswerker bist? «
Ich will protestieren. Ich habe ihn nicht verflucht; woher will er wissen, ob ich nicht nur so getan habe? Doch dann fällt mir der Rückstoß wieder ein und wie ich
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