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Wellentraum

Wellentraum

Titel: Wellentraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Virginia Kantra
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lebten doch für Mist wie diesen. Er suchte den Strand ab. Wenigstens sorgten der umgebende Sand und Fels für eine natürliche Isolierung, und das Feuer lag weit genug entfernt von den Bäumen, so dass der Funkenflug nicht die Insel abfackeln konnte.
    Ein Holzscheit brach im Zentrum des Feuers in sich zusammen und entfachte ein weiteres Flammenmeer, einen weiteren Hitzeschwall. Ausgeschlossen, dass jemand den Sprung über oder in dieses Inferno überleben konnte.
    Also musste er doch einen Körper sehen, oder? Überreste. Der menschliche Körper brannte nicht gut. Zu viel Wasser. Selbst im Krematorium blieben stets große Knochenfragmente übrig.
    Es hätte also etwas zu sehen sein müssen.
    Stattdessen brannte das Feuer klar und hell. Er schnupperte. Selbst der verkohlte Geruch, den er anfangs wahrgenommen hatte, war fast ganz verflogen.
    Aber was zum Teufel hatte er dann gesehen? Was, verdammt noch mal, war hier passiert?
    Der Sand war in allen Richtungen aufgewühlt.
    Vor morgen früh hatte er nicht die geringste Chance, den Tatort zu untersuchen.
    Und es befand sich eine nackte, blutende Frau in seiner Obhut, die medizinische Hilfe benötigte.
    Er fasste erneut das Feuer ins Auge und sah dann hinüber zu den Bäumen. Wenn er noch in Portland wäre, würden ihm die vereinten Kräfte von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst zur Verfügung stehen. Wenn er noch im Irak wäre, würde ihm seine Einheit Rückendeckung geben.
    Oder er würde unter einem rauchenden Jeepwrack feststecken, mit einem offenen Oberschenkelbruch, und versuchen, das feindliche Feuer mit einer Pistole zu erwidern, während neben ihm ein 19- jähriger Junge im Dreck verblutete.
    Manchmal musste man mit dem, was man hatte, auskommen.
    Er griff erneut nach seinem Handy und fühlte Maggies Anwesenheit wie einen Lufthauch in seinem Nacken.
    Als hätte er wirklich erwartet, dass sie blieb, wo sie war, nur weil er es ihr befohlen hatte. (Die letzten Worte, die er vor drei Wochen zu ihr gesagt hatte –
»Komm schnell wieder«
 –, hallten leise in seinem Kopf wider.)
    Er drehte sich um.
    Sie stand hinter ihm. Ihr Körper schimmerte wie eine Perle durch seine offene Jacke, das Blut auf ihrer Stirn glänzte schwarz, und ihr Haar wirkte wie ein wilder Heiligenschein im Mondlicht. Eine Flut von Gefühlen – Wut, Verlangen, Enttäuschung – schlug über ihm zusammen, und seine Eingeweide verkrampften sich.
    »Warum erzählst du mir nicht, was passiert ist«, schlug er ruhig vor, die Augen auf ihr Gesicht geheftet.
    Ihr Blick huschte an ihm vorbei zum Feuer hinüber. »Du hast gesagt, dass du nachsehen würdest«, sagte sie anklagend.
    Mit Feindseligkeit wurde man leichter fertig als mit Hysterie, aber ein Teil von ihm wünschte sich, sie möge weinen oder sich an ihm festklammern oder so etwas – etwas, das ihm erlauben würde, sie zu trösten.
    »Ich habe nachgesehen«, erwiderte er. »Und das werde ich morgen früh noch einmal tun.«
    »Morgen früh wird es zu spät sein.«
    »Maggie …« Er war eifersüchtig, bemerkte er. Und erschrocken, dass seine persönliche Reaktion Einfluss auf das hatte, was nun eine polizeiliche Ermittlung war. »Es ist bereits jetzt zu spät für ihn.«
    Sie zog die Lippen von den Zähnen. »Nicht für
ihn.
Du wirst ihn nicht finden. Ich brauche das wieder, was er mir weggenommen hat.«
    Caleb rieb sich gedankenverloren den brennenden Unterarm. Sie hatte ihn gebissen. Wie ein Tier. Sie musste das wirklich wollen … was auch immer es war.
    »Und was ist das?«
    »Im Feuer.«
    »Was hat er dir weggenommen, Maggie?«
    Sie starrte ihn mit leerem Blick an.
    Schock, dachte er. Das hatte er schon öfter gesehen, bei Opfern von Verkehrsunfällen, die am Straßenrand kauerten, bei Soldaten auf Krankentragen nach einem feindlichen Angriff: die schnelle Atmung, die erweiterten Pupillen, die hartnäckig wiederholten Sätze. Sie stand unter Schock.
    Oder sie hatte eine Gehirnerschütterung.
    Er spürte, wie Sorge sich seiner bemächtigte. Er konnte sie nicht wie ein übereifriger Berufsanfänger bei seiner ersten Vernehmung mit Fragen bombardieren. Sie brauchte Zeit und medizinische Hilfe, bevor er versuchen konnte, sich einen Reim auf das zu machen, was passiert war.
    Was war denn eigentlich passiert? Er hatte gesehen – Caleb hätte jedenfalls schwören können, dass er es gesehen hatte –, wie ein Mann in ein Feuer sprang, ohne eine Spur zu hinterlassen. Welchen Reim konnte man sich schon darauf machen?
    Er klappte sein

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