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Wen liebst du, wenn ich tot bin?

Wen liebst du, wenn ich tot bin?

Titel: Wen liebst du, wenn ich tot bin? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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ihnen herausbringen, wer angefangen hatte. Ich bin so stolz darauf, wie die beiden sich umeinander gekümmert haben.«
    Mum blickt für ein paar Sekunden zu mir herüber, und ich muss daran denken, wie Sam Dad von Trick erzählt hat in jener Nacht, in der alles geschah, und dass dies nur eines von vielen Dingen aus diesem Sommer ist, die nur Dad und ich wissen.
    Mums Stimme versagt. Sie räuspert sich und setzt von Neuem an.
    »Sam ist viel zu früh gestorben. Manche denken bei diesem Tod an Schuld und Gerechtigkeit. Aber er war mein Sohn, und ich habe mich dafür entschieden, an die frohen Stunden mit ihm zurückzudenken. Die fünfzehn Jahre, die ich zusammen mit ihm verbringen konnte, waren die schönsten meines Lebens. Bitte. Lasst Sam mit mir gemeinsam hochleben. Behaltet ihn so in Erinnerung, wie er war: ein starrsinniger, fröhlicher, lustiger Junge, der mehr Kraft hatte, als er brauchen konnte. Sprecht von ihm. Erinnert euch an ihn.«
    Dad hat seinen Kopf gebeugt und ich spüre seinen Atem und seine Tränen auf meiner Hand.
    Irgendjemand klatscht Beifall, dann noch jemand, schließlich klatschen alle. Mir ist zum Lachen und zum Weinen zumute. Ich bin in Hochstimmung und überschwänglich, mein Herz bricht und ich bin verzweifelt, weil Sam gestorben ist. Aber er war da, er war unglaublich und er war mein Bruder.
    Mum kommt und setzt sich neben mich. Als sie mich umarmt, scheinen sämtliche Knochen in ihrem Leib zu beben.
    Father Caffrey sagt, dass die Trauergäste nun kleine Geschenke an Sams Sarg legen können. Matty legt einen Briefumschlag auf seinen Sarg und geht schnell wieder zu ihrem Platz zurück. Ein paar von den Mädchen, die in der Schule den Ton angeben, legen Zettel und einen Teddybären dazu. Das Footballteam legt ein Trikot in den Schulfarben mit der Rückennummer eines Mittelfeldspielers neben Sams Bild. Ich bleibe, wo ich bin. Ich habe alles gesagt, was ich sagen wollte, als er noch am Leben war.
    Alle kehren wieder an ihre Plätze zurück, und die nervige Gitarrenmelodie, mit der uns Sam den ganzen Sommer über traktiert hat, hallt durch die Kapelle.
    Die roten Vorhänge schließen sich mit einem entsetzlichen Surren um den Sarg. Ich kann nicht hinsehen. Ich wünschte, ich würde sie nicht hören. Sie machen ein Geräusch, das man niemals mehr vergisst. Ich möchte jetzt nur noch raus. Mum und Dad und ich gehen schnell und mit gesenkten Köpfen weg.
    Wir stehen am Eingang, auf der obersten Treppenstufe. Die Menschen gehen langsamer und küssen Dad und Mum. Sie schütteln die Köpfe und drücken Hände. Sie wissen nicht, was sie sagen sollen. Ich wünschte, Mum würde ihre Sonnenbrille abnehmen. Sie ist so störrisch. Plötzlich spüre ich, wie mir jemand die Hand auf den Rücken legt.
    »Iris?«
    Es ist Leanne.
    Sie winkt mir, ihr zu einem Tisch zu folgen, der ein paar Meter weiter weg steht und auf dem sich Gesangbücher und Broschüren stapeln.
    Ein grün-goldener Wandteppich über ihr schreit uns entgegen: Wir brauchen dich!
    Sie verzieht ihren großen Mund zu einem schiefen Lächeln. Ihr schwarzes Haar ist in der Mitte gescheitelt, dazwischen sieht man ihre bläulich weiße Kopfhaut. Es ist das erste Mal, dass ich sie ohne ihre Mütze sehe.
    »Ich wollte dir nur sagen … es tut … es tut mir sehr leid.«
    »Was denn? Dass du meinen Bruder auf der Straße liegen gelassen hast oder dass du mir ins Gesicht geschlagen hast?«
    Ihr Mund klappt auf.
    »Es tut mir wirklich leid. Wir mussten abhauen«, sagt sie flehentlich. »James und Dean haben noch Bewährung.«
    »Das ist mir egal.«
    Sie wirkt jetzt kleiner. Sie ist ein anderes Mädchen. Sie weiß nicht, was sie sagen soll. Sie steht einfach da, mit ihrem fransigen, schief geschnittenen Bob, und starrt mich an.
    »Trick ist geblieben«, sage ich. »Das Zigeunerchen ist geblieben, während ich einen Krankenwagen gerufen habe. Sam war nicht allein.«
    Sie schaut auf ihre Schuhe – billige Schläppchen, die man in der Schulturnhalle tragen muss. Sie scheuern, ihre nackten Füße sind schon ganz rot.
    »Er war ein ganz besonderer Mensch«, sagt sie, und ihre Stimme kippt fast. »Er hat Bilder für mich gemalt. Ich kann sie dir vielleicht einmal zeigen.«
    Ich schüttle den Kopf.
    Matty ist inzwischen zu mir gekommen und hakt mich unter, und plötzlich ist alle Wut, die ich auf Leanne hatte und auf Punky und Dean, die nicht einmal zur Beerdigung gekommen sind, verraucht.
    Ich stelle mir vor, wie Sam Leanne gezeichnet hat – knochig und mit

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