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Wenn das Schlachten vorbei ist

Wenn das Schlachten vorbei ist

Titel: Wenn das Schlachten vorbei ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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so silbrig wie der Bauch eines Fisches. Sears & Roebuck. Lebenslange Garantie. Sie packte es, und auch wenn sie nicht darauf klettern konnte, war es doch da und gab ihr Halt, während der Sturm peitschte und aus dem Zwielicht am Horizont die Sonne erschien, um ihre Lippen auszutrocknen und die straff sitzende Maske ihres zum Himmel gewandten Gesichts zu verbrennen.

RATTUS RATTUS
    Sie war in ihrem ganzen Leben noch nie so durstig gewesen. Sie hatte Durst nie gekannt, hatte nie gewusst, was es wirklich bedeutete, durstig zu sein, wenn sie in einer Zeitschrift von Beduinen gelesen hatte, die von ihren Kamelen gefallen waren, von Kamelen, die unter ihren Reitern zusammengebrochen waren, von amerikanischen Soldaten, die in den Dünen Nordafrikas, wo Wasser nichts weiter war als eine Luftspiegelung, den Gerüchten über Rommels Panzer nachgegangen waren, denn sie war in einem Haus mit fließendem Wasser aufgewachsen, wo das Gras morgens nass vom Tau gewesen war und man in einem Schnellimbiss oder am Automaten in der Tankstelle nebenan jederzeit eine Cola kriegen konnte. Wenn sie durstig war, trank sie etwas. So einfach war das.
    Jetzt wusste sie es. Jetzt wusste sie, wie es war, wenn man nichts zu trinken hatte, wenn Klauen sich in die Kehle bohrten, wenn die Zunge pelzig und geschwollen im Grab des Mundes lag und man kaum noch schlucken oder atmen konnte. In der Kühlbox war Eis – und Bier, kaltes Bier, die Flaschen klirrten im Rhythmus der Wellen –, doch sie wagte es nicht, den Deckel zu öffnen, nicht einmal für einen Augenblick. Die Luft darin hielt sie über Wasser, und wenn sie den Deckel öffnete, würde die Luft entweichen, und was würde dann aus ihr werden? Die Flaschen klirrten. Ihre Kehle war geschwollen. Die Sonne brannte auf ihr Gesicht. Doch dies war eine besondere Folter, für sie allein erdacht, schlimmer als alles, was der sadistischste japanische Kommandant hätte anordnen können, und sie fragte sich immer wieder, was sie getan hatte, um dies zu verdienen: Das Eis, das Bier, die herrliche, kalte, schäumende blassgoldene Flüssigkeit in der von Kondenswasser glänzenden Flasche war nur Zentimeter entfernt, und sie war dabei zu verdursten.
    Bei dem Gedanken daran schluckte sie unwillkürlich, dabei war ihre Kehle so wund wie damals, als sie als kleines Mädchen eine Mandelentzündung gehabt hatte: Sie hatte sich vor Schmerzen im Bett hin und her gewälzt, die Jalousien waren zugezogen gewesen, der steif gestärkte Bettbezug hatte gescheuert, und dann war ihre Mutter gekommen wie ein barmherziger Engel und hatte ihr Ginger Ale in einem großen, kalten Glas gebracht und Scherbet und Weingummi und Eiswürfel aus gefrorenem Traubensaft, die sie zwischen den Zähnen halten und auf der Zunge zergehen lassen konnte, bis sie sich aufgelöst hatten. Die Hand ihrer Mutter kam näher, sie sah sie vor sich, vor dem Hintergrund der Wellen, sie sah das Gesicht ihrer Mutter und das beschlagene Glas in ihrer Hand. Es war unerträglich. Sie gab nach und benetzte die Lippen mit Meerwasser, obwohl sie wusste, dass sie das nicht tun sollte, dass es falsch war und alles nur noch schlimmer machen würde, doch sie konnte nichts dagegen tun, und ihre Zunge streckte sich und leckte das Wasser, als gehörte sie nicht ihr. Die Erleichterung war sofort spürbar und durchpulste sie wie eine Droge: Wasser floss in ihren Körper. Aber dann, fast gleich darauf, schwoll ihr die Kehle zu, und ihre aufgesprungenen Lippen begannen zu bluten.
    Blut . Das war das zweite Problem. Beide Ellbogen waren aufgeschürft, und auf dem Rücken der linken Hand, die nicht vom Kaffee verbrüht worden war, klaffte ein unregelmäßiger Riss. Woher er stammte, wusste sie nicht, und die Kälte machte sie so gefühllos, dass sie den Schmerz nicht spürte. Es war klar, dass die Wunde würde genäht werden müssen und eine Narbe zurückbleiben würde, und sie hatte den Riss schon seit einer Weile immer wieder betrachtet und daran gedacht, dass sie nach ihrer Rückkehr zu einem Arzt gehen würde, ja sie hatte sich bereits überlegt, was sie zu ihm sagen würde, nämlich dass sie einen erstklassigen Arzt wolle, denn sie wolle unter keinen Umständen eine entstellende Narbe, nicht in ihrem Alter. Doch hier und jetzt blutete sie, und jede Welle wusch die Wunde aufs neue aus und schwemmte etwas rosarote Flüssigkeit heraus, die sich sofort im Wasser verteilte. Diese Flüssigkeit war Blut. Und Blut lockte Haie an.
    Wieder ein Anfall von Panik. Ihre Beine hingen

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