Wenn das Schlachten vorbei ist
sonnenbeschienene Felswand, die im Dunst über ihr aufragte.
Anacapa ist die kleinste der vier Inseln, aus denen der Archipel der nördlichen Santa-Barbara-Inseln besteht. Sie ist dem Festland am nächsten – von ihrem östlichen Ende bis zum Hafen von Oxnard sind es kaum zwanzig Kilometer – und erstreckt sich, von Arch Rock im Osten bis Rat Point im Westen, parallel zur Küste. Geologisch ist sie ein Ausläufer der Santa-Monica-Berge. Genaugenommen handelt es sich nicht um eine, sondern um drei Inseln, die nur bei extremer Ebbe miteinander verbunden sind. Anacapa ist vulkanischen Ursprungs und besteht hauptsächlich aus Basalt aus dem Miozän. Alle drei Inseln sind vom Meer aus weitgehend unzugänglich: Steil aufragende Klippen wechseln sich ab mit Stränden, auf denen die von den Wellen aus den Felsen gebrochenen Steine dunkel schimmern. Aus der Luft sieht das schmale, gewundene Band der Inseln aus wie der Rücken einer Seeschlange: Auf dem Kamm zeichnen sich ihre Wirbel ab, sie hat die Klauen ausgefahren und das Maul aufgerissen, und ihr Schwanz peitscht das Meer. Seevögel nisten auf den Klippen und der dahinter liegenden Hochfläche – unter anderem Lummenalke, Kalifornische Braunpelikane und Pinselscharben –, und in den Buchten lärmen Seelöwen. Die jährliche Niederschlagsmenge beträgt weniger als dreißig Zentimeter. Es gibt keine Süßwasserquellen.
Das alles wusste Beverly nicht. Sie wusste nicht, dass es sich bei dem aufragenden Felsen um Anacapa handelte und sie beinahe zehn Kilometer weit getrieben war. Sie wusste nur, dass Felsen, im Gegensatz zu Wasser, Halt boten, und schwamm mit letzter Kraft darauf zu. Zweimal ging sie unter und kam keuchend wieder hoch, und in den Wellen, die ringsumher donnerten, konnte sie sich nur an die Kühlbox klammern. Mit einemmal war sie in der Brandung, die Box wurde ihr entrissen und war plötzlich verschwunden, und ihr blieb nichts anderes übrig, als die Augen zusammenzukneifen, die Arme auszustrecken und sich von den Wellen tragen zu lassen, bis diese sie wie ein Wrack gegen den Fuß der Klippe warfen. Steine rollten unter ihren Knien und den verzweifelt tastenden Händen, sie wurde so heftig zur Seite geworfen, dass ihr die Luft wegblieb, doch dann berührten ihre Finger etwas anderes: Sand, ein kleines, aus den Felsen gewaschenes Stück Strand. Es war kaum mehr als ein halbkreisförmiges Fleckchen, über dem das anbrandende Wasser schäumte wie in einer Waschmaschine, aber es war greifbar und gab ihr Halt, und als die Welle zurückwich, stand sie auf festem Boden. Sie hätte vielleicht Erleichterung empfunden, doch dazu war keine Gelegenheit. Sie zitterte. Sie war tropfnass. Sie taumelte. Und die nächste Welle kam bereits auf sie zu.
Die Gischt brandete auf, traf ihre Knie und warf sie rücklings gegen die harte schwarze Felswand. Sie stolperte nach links, als die nächste Welle herandonnerte, und dann kroch sie auf Händen und Knien hinauf, über die kantigen, scharfen und dennoch schlüpfrigen Felsen, fort vom Wasser und auf ein schmales Sims, nicht breiter als ihre Koje auf der Beverly B. Sie zog die Beine an, schlang die Arme um die Schultern, zitternd vor Kälte. Das Haar hing ihr nass ins Gesicht. Die Wellen prallten an die Felsen und schäumten hoch, und alles roch nach Fäulnis und den protoplasmischen Überresten der unzähligen wimmelnden, beißenden, gierigen Wesen, die hier zugrunde gegangen waren. Sie dachte nicht an Till oder das Boot oder Warren. Ihr Geist war vollkommen leer. Sie starrte stumpf auf die Brandung, die gegen den Strand anrannte und wieder zurückwich, auf das abgerissene Seegras, das hin und her wogte, auf ein Stück Treibholz, auf das Schäumen und Wirbeln des Wassers. Und dann schlief sie ein.
Als sie erwachte, wurde sie von der Sonne beschienen, und der Strand war um ein winziges Stück größer geworden. Die Ebbe gab einen muschelförmigen Streifen schwarzen, glänzenden Sandes frei, die Zähne der Felsen waren zu sehen und der nasse Untergrund, der sie festhielt. Sie war die ganze Zeit im Schatten gewesen, zusammengesunken auf dem Sims, außer Reichweite der Wellen und der Sonne, doch diese war nun weitergezogen und hatte Beverly geweckt. Lange saß sie da und nahm die Wärme in sich auf, und wenn sie einen Sonnenbrand bekam, so machte das nichts, gar nichts, denn sie wollte lieber verbrennen als erfrieren, sie wollte verbrennen, sie wollte versengt und geröstet werden, bis die Haut sich schälte – alles war besser
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