Wenn die Wale an Land gehen (German Edition)
Therapie. Als die Ärztin sagte, dass er damit überfordert sei, verwies Roswitha auf Wladimirs wiedergewonnene Fähigkeiten.
»Täuschen Sie sich nicht«, sagte die Ärztin, »das sind nur Inseln.«
Doch drei Tage später wurde Wladimir auf eine normale Station verlegt. Während der Therapiestunden wurde gemalt und gebastelt. Wladimir malte immer mit Schwarz, was keinen der Therapeuten zu wundern schien. Einmal, als Roswitha zu früh zur Besuchszeit erschien, waren die Patienten gerade bei einem Rommé-Turnier. Manche hielten ihre Karten fest in der Hand und waren nicht bereit, auch nur eine einzige Karte herzugeben, während andere ihre Karten aufgedeckt vor sich hinlegten und sich freuten, wenn die Mitspieler sie wegnahmen. Es war eine absurdeSituation, die Roswitha bekannt vorkam. Sie sah die Filmszene aus »Einer flog übers Kuckucksnest« vor sich, in der McMurphy und Martini Monopoly spielten: »Hotel!« Damals im Kino hatten sie sich vor Lachen auf die Schenkel geschlagen. Doch nun saßen Roswitha und Wladimir selbst im Kuckucksnest. Gar kein »großes Kino«.
Roswitha hatte einen Weg gefunden, die Besuche in der Psychiatrie zu ertragen. Sie brachte ihren Fotoapparat mit. Viele Patienten waren neugierig und stellten sich in Positur, andere kamen und bettelten wie Kinder, auch ein Bild machen zu dürfen. Roswitha fotografierte Bernd, der zitternd unter dem Bett saß, die vergessliche Frau Herlberg, die Fernsehgemeinde im Gemeinschaftszimmer, drei alte Frauen, die bereits nachmittags um sechzehn Uhr stumm im Speiseraum am Tisch saßen und darauf warteten, dass es Abendbrot gab. Sie machte Bilder von einem angeschnallten Neuzugang. »Licht und Schatten«. Es waren unfassbare Motive, und Roswitha wartete darauf, dass jemand sagen würde: »Die junge Frau gibt mir jetzt mal ihren Fotoapparat!« Ungestört fotografierte sie auch das Klinikgelände und die Kleingartenanlage. Die Rosenkohldolden waren umgefallen. Langsam wurde es Frühling, in den Gärten blühten die Märzenbecher. Wladimir bastelte in seinen Therapiestunden Osterküken aus Filzstreifen. Er erzählte Roswitha, dass die Ärztin in der Patientenrunde gesagt hatte, Wladimirs Frau würde sie mit seiner Krankheit erpressen, um für sich eine größere Wohnung zu bekommen.
»Du solltest sie erwürgen!«, sagte Roswitha. »Wie McMurphy Schwester Rachel.« Wladimir konnte nicht lachen. Die fünf Monate Klinikaufenthalt hatten ihn verändert. Er war ausgesprochen schreckhaft und fühlte sich von allem angegriffen.
Gar keinen Spaß verstand er beim Essen. Er schlang alles blitzschnellhinunter, verteidigte jede Kartoffel, wenn es sein musste mit Gabelstichen. In ständiger Gefechtsbereitschaft, den Oberkörper über den Teller gebeugt, die Arme als Barriere danebengelegt, saß er am Tisch. Wer im Speisesaal nicht aufpasste, hatte nichts mehr auf dem Teller.
Am Gründonnerstag fuhren Roswitha und Zappa ins Krankenhaus, um Wladimir für den Osterurlaub abzuholen. Der Pfleger sagte ihr, dass sie zur Ärztin kommen solle. Roswitha dachte, dass es eine gute Gelegenheit sei, um die Ärztin mit der Lüge über den Erpressungsversuch zu konfrontieren.
»Sie müssen sich nicht setzen«, sagte die Ärztin und überreichte Roswitha einen Umschlag. »Das sind die Unterlagen. Ihr Mann ist entlassen. Die Arbeitsbefreiung gilt noch für Montag.«
Sie hatte es sich immer gewünscht. Sich ständig den Tag vorgestellt, an dem sie Wladimir wieder mit nach Hause nehmen könnte, egal, in welchem Zustand. Doch nun war sie völlig überrascht.
»Aber …«, sagte Roswitha
»Was aber?«, sagte die Ärztin.
Malenga freute sich, Roswitha wiederzusehen, und sie tranken erst einmal einen warmen Cidre, damit sich Roswitha aufwärmen konnte.
Bis zum Veteranenklub war es nur ein Block. Sie gingen durch einen kleinen Vorgarten, der voller Blumenkübel stand, die malerisch mit Schnee bedeckt waren. Es wirkte wie der Eingang zu einem Handarbeitszirkel und nicht wie eine Zweigstelle der US-Armee.
Nur die amerikanische Flagge über der Tür gab einen Hinweis. »Kennst du die Bedeutung der Farben?«, fragte Malenga.
»Weiß steht für Reinheit und Unschuld, Rot für Tapferkeit und Widerstandsfähigkeit, Blau für Wachsamkeit, Beharrlichkeit und Gerechtigkeit.«
»Das hättest du mal meinem Geschichtslehrer erzählen müssen!«
Sie lachten.
»Hast du etwas von Mick gehört?«
»Ja«, sagte Malenga und ließ Roswitha zappeln. »Der Manager hat seine Adresse.«
»Dann könnten wir
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