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Wenn du mich brauchst

Wenn du mich brauchst

Titel: Wenn du mich brauchst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Frey
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Sharoni zurück. »Dein Urgroßvater. Du hast es mir mal erzählt.«
    »Gerade mal fünfundzwanzig Jahre alt durfte er werden.« Esthers Blick wurde hart. »Fünfundzwanzig. Diese Schweine. Diese Nazischweine. Diese Bestien. Zum Kotzen ist das. Zum Grüne-Galle-Kotzen!« Wieder griff sie nach ihrer ausgebeulten, ehemals feinen Perlentasche. Aber diesmal holte sie nicht die Sherryflasche daraus hervor, sondern ein kleines, abgegriffenes Fläschchen, das ich noch nie zuvor gesehen hatte.
    »Zyankali. Seht es euch an«, stieß Esther wütend hervor. Ihr Atem roch nach Alkohol, aber ansonsten roch sie gut, wie immer. Ihre Haare nach ihrem geliebten Lavendelshampoo und ihre Haut nach Olivencreme. »Jakob hat es mir gegeben. Er selbst hatte auch so ein Fläschchen. Wir hatten uns geschworen, es zu nehmen, wenn es passieren würde. Wenn es für alles andere zu spät wäre. Wenn es keine Hoffnung mehr gäbe. Fest geschworen. Wir würden uns nicht abschlachten lassen von diesen Nazibestien. Ich weiß bis heute nicht, ob Jakob es geschafft hat, auf diese Weise zu entkommen. – Und ich – ja, ich …«
    Aber weiter sprach sie nicht.
    Still saß sie einen Moment zwischen uns, über uns war der blaue Himmel und unter uns vertrocknetes, ausgeblichenes Sommergras, das leise raschelte, wenn sich einer von uns regte. Dann schob Esther das kleine, unheimliche Fläschchen zu meiner Erleichterung zurück in die Tiefen der großen schwarzen Tasche. Ihre Hände zitterten plötzlich und mit diesen zitternden Fingern streichelte sie die perlenbesetzte Tasche, als sei sie etwas ganz anderes als eine Tasche, etwas Lebendiges vielleicht.
    »Annegret«, murmelte sie schließlich noch ein paar Mal. Mehr nicht. Dann stand sie leise und blicklos auf, ging zurück ins Haus und von dort in ihr Zimmer. Sie legte sich auf ihr Bett und ich deckte sie so behutsam wie möglich zu. Sharoni blieb an der Tür stehen und schaute uns zu.
    Esther hatte Ausschwitz überlebt.
    Sharonis Urgroßeltern waren beide dort gestorben.
    Eine weite Ebene. Und Dämmerung, Abenddämmerung.
Die Welt, die so erschöpft und verletzt ist, steht hier einen Moment still und hält den Atem an.
Der Vogel im alten Mehlbeerbaum am Wegrand singt noch immer sein altes Lied. Sein trauriges Lied. Aber plötzlich verstummt auch er.
Was geschieht da? Wer tanzt da?
Eine einsame, tanzende, sehr junge Frau in einer stillen, erschöpften Welt.
Woher diese Freude? Der Vogel breitet erfreut seine Flügel aus und fliegt hoch in den Himmel.

3. SKY
    Picture yourself in a boat on a river, with tangerine trees and marmalade skies, somebody calls you you answer quite slowly, a girl with kaleidoscope eyes, schrieb Moon mit seinem schwarzen Filzstift, den er praktisch nie aus den Fingern legt, auf seine Jeans.
    Leek warf einen Blick darauf und summte dann leise den Refrain des Songs. »Lucy in the Sky with diamonds …«
    Die Geschichte meines Namens.
    Wir erzählten sie eines Tages Kendra, als sie bei uns war.
    »Sie hatte diese wundervollen Augen«, erklärte meine Mutter.
    »Kaleidoskopaugen«, sagte mein Vater und entzündete behutsam einen Joint. An seinen Fingern waren bunte Farbkleckse, wie immer.
    »Ich bekam Sky als Erster in den Arm gelegt, weil Rosie noch im Aufwachraum des Operationsraums war. Ich sah sie an und sie sah mich an. Moon hat seine Augen erst nach drei Tagen richtig aufgemacht, aber Sky starrte mich mit ihren weit aufgerissenen, kaleidoskopgrün gemusterten Augen unentwegt an, während wir zusammen auf Rosie warteten. Und da fielen mir die guten, alten Beatles ein und ich sang den Song für sie. Sozusagen als Begrüßung in dieser verrückten Welt.«
    »Aber warum Sky? Hättet ihr sie da nicht streng genommen Lucy nennen müssen?«, fragte Kendra.
    »Lucy war unmöglich«, sagte meine Mutter schnell.
    »Warum?«, erkundigte sich Kendra.
    Moon hob den Kopf und lächelte mir zu. »Opa Herrmanns Köter«, sagte er dabei. »Das neue Baby sollte nicht wie der deutsche Schäferhund von Rosies blödem, reaktionärem Vater heißen.«
    »Und außerdem hatte ich von einem Himmel geträumt«, fügte meine Mutter hinzu. »Während ich in dieser schrecklichen Narkose war, träumte ich von einem hohen, strahlenden Himmel. Ich war ein Vogel und flog mit anderen wilden Vögeln über das helle Firmament. Es war fantastisch. – Das war Skys Himmel, ganz klar. Das wusste ich noch, ehe ich wieder wach wurde und Leek mir das Baby brachte und ich ihre Kaleidoskopaugen zum ersten Mal

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