Wer im Trueben fischt
Redaktion auf der anderen Seite des Flures war fast leer. Am Tag war der Raum gefüllt von den Stimmen der Journalisten, dem Telefonklingeln, dem Hacken auf die Tastaturen und dem begleitenden Radioprogramm. Mit den 19-Uhr-Nachrichten endete die Tagschicht im Sender, dann begann das abendliche Musikprogramm, das die Kollegen aus der Musikredaktion fuhren.
Schneider ging an den aufgeräumten Schreibtischen entlang. Die Monitore flimmerten im Standby-Modus. Es war still bis auf das Surren der Computer.
Emma saß ganz hinten am Schreibtisch des Wochenendredakteurs. Sie hatte einen Kopfhörer auf und starrte konzentriert auf den Bildschirm. Schneider blieb unwillkürlich stehen und betrachtete sie. Wie dünn sie ist, dachte er. Sie verschwindet ja fast hinter dem Schreibtisch.
Als Emma ihn entdeckte, schaute sie erschreckt auf, entspannte sich aber, als sie ihn erkannte. Sie lächelte und zog sich den Kopfhörer herunter. Schneider trat neben sie. Vor ihr lag die neueste DVD eines deutschlandweit bekannten Komikers, der morgen seinen 50. Geburtstag feierte. Emma sollte kurze Einspieler aus seinem aktuellen Programm herausschneiden und für die Frühsendung vorbereiten. Sie zeigte auf die DVD -Hülle und zog eine Grimasse.
»Und der füllt Stadien.«
Schneider lachte und ließ sich in den Stuhl neben ihr fallen. Emma lächelte ihn fragend an.
Schneider sagte:
»Wie gut, dass du noch da bist.«
»Ich muss das noch fertig machen.«
»Lass es liegen. Ich hab einen Auftrag für dich.«
Emmas Lächeln verschwand. Wachsam schaute sie Schneider an, sagte aber nichts.
Schneider fuhr mit dem Stuhl näher an sie heran.
»Irgendetwas ist bei der Uni-Eröffnung schiefgelaufen. Ein Professor ist verschwunden. Die Polizei sperrt ab. Und Bente muss gehen.«
Emma schaute Schneider forschend in die Augen.
»Was soll ich tun?«
»Fahr hin und hör dich um. Sprich mit den Leuten. Frag die Polizei. Vielleicht gibt es doch noch einen offiziellen Ton vom Polizeisprecher.«
Emma biss sich auf die Lippen. Sie spielte mit dem Bleistift in der Hand. Schneider beobachtete sie.
»Du kannst hier nicht ewig die Praktikantin spielen. Eine Verschwendung von Ressourcen.«
Sie lächelte.
»Ich bin den ersten Tag hier. Ist das deine Vorstellung von ewig?«
Schneider grinste.
»Du bist nun mal die Einzige, die noch hier ist.«
Er zog ein speckiges schwarzes Lederportemonnaie aus der Hosentasche und kramte nach einem Geldstück.
»Wettest du noch immer? Ich würde sagen, bei Zahl gehst du ohne Honorar.«
»Du spinnst wohl.«
Emma schielte zum Geldstück.
»Bei Kopf geh ich mit Abendzuschlag.«
Gekonnt warf Schneider die Münze nach oben und fing sie wieder auf. Er knallte sie auf seinen linken Handrücken, hob die Rechte für den Bruchteil einer Sekunde hoch und steckte sie blitzschnell, und ohne dass Emma sie sehen konnte, wieder ein.
»Kopf. Du hast gewonnen. Also los.«
Er legte ihr die Unterlagen vom Ü-Wagen auf den Tisch.
»Der Mann heißt Tom Rosenberg, große Nummer, prominenter Autor. Er hat seine Professur zurückgezogen. Und jetzt scheint er nicht mehr erreichbar zu sein. Dafür ist da jede Menge Polizei.«
Bevor Emma etwas sagen konnte, war Schneider schon an der Tür.
»Ich bin noch ’ne Weile hier. Ruf mich auf dem Handy an.«
Er verschwand im Flur. Emma atmete tief durch. Sie hatte Angst vor diesem Moment gehabt, aber jetzt spürte sie, wie sich eine gespannte Freude in ihr ausbreitete. Mit zwei Fingern schnippte sie die DVD mit den faden Witzen des Komikers über die Schreibtischlandschaft auf den Platz des Frühredakteurs. Eilig suchte sie ihre Sachen zusammen.
A uf dem Bahnsteig am Alexanderplatz dröhnten die Maschinen. Männer mit Vorschlaghämmern schienen direkt über ihr die Decke aufzumeißeln. Ein Mann im Anzug schob ungerührt eine Staubplane beiseite. Eine ältere Frau klemmte ihre Zigarette zwischen die Lippen und hob mit beiden Händen ein schlafendes Kind im Buggy über einen rohen Balken, der quer in der Halle lag. Emma ging eilig die Rolltreppe hinunter. Auch der Bahnhofsvorplatz wurde saniert. Weiter hinten beim Kaufhaus klopften Arbeiter grau-gelbe Granitplatten in den Boden. Mit großen Schritten ging sie an ihnen vorbei in Richtung Museumsinsel.
Für einen Abend im Oktober war es ungewöhnlich warm. Die Leute liefen im T-Shirt umher, die Jacken um die Hüfte geknotet. Die Touristendampfer auf der Spree waren bis auf den letzten Platz besetzt. Ein paar Kinder spuckten über die steinerne
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