Die Sieben unterirdischen Könige
WIE DAS WUNDERLAND ENTSTAND
In einer Zeit, die so weit zurückliegt, daß niemand mehr weiß, wann es war,
lebte ein mächtiger Zauberer namens Hurrikap. Er lebte in einem Lande, das
erst viel später Amerika genannt wurde, und es gab niemanden auf der Welt,
der sich auf das Zaubern so gut verstand wie er. Zuerst war Hurrikap
mächtig stolz darauf und erfüllte gern die Wünsche der Menschen, die zu
ihm kamen. Dem einen schenkte er einen Bogen mit Pfeilen, die immer das
Ziel trafen, dem anderen verlieh er die Gabe, so schnell zu laufen, daß er
sogar Rehe überholen konnte, einen dritten machte er unverwundbar gegen
die Zähne und Krallen der wilden Tiere. So vergingen viele, viele Jahre.
Dann wurde Hurrikap aber der Bitten und Dankesbezeigungen der
Menschen überdrüssig und beschloß, sich in die Einsamkeit zurückzuziehen, wo ihn niemand belästigen würde. Lange irrte der Zauberer über
den Kontinent, der noch keinen Namen hatte, bis er in ein wunderschönes
Land mit dichten Wäldern, kristallklaren Flüssen, grünen Wiesen und
herrlichen Obstbäumen kam.
„Hier gefällt es mir!” rief Hurrikap freudig aus. „Hier werde ich auf meine
alten Tage Ruhe haben. Jetzt muß ich nur noch dafür sorgen, daß kein
Mensch hierherfindet.”
Für einen so mächtigen Zauberer wie Hurrikap war das ein leichtes…Eins!” rief er, und im nächsten Augenblick erhoben sich riesige Berge um
das Land.
„Zwei!” rief er, und jenseits der Berge entstand eine große Sandwüste, die
kein Mensch hätte durchqueren können. Hurrikap dachte nach, was ihm
noch fehle.
„Hier soll immer Sommer sein!” befahl er. „Ich will, daß es ein Wunderland
ist, in dem alle Tiere und Vögel wie Menschen sprechen sollen!” fügte er
hinzu, und sogleich ging sein Wunsch in Erfüllung. Von allen Seiten waren
zahllose Stimmen zu hören. Es sprachen die Affen und Bären, Löwen und
Tiger, Spatzen und Krähen, Spechte und Meisen. Sie hatten viele Jahre nicht
sprechen können, und jetzt freuten sie sich unbändig, einander ihre Gedanken, Gefühle und Wünsche mitteilen zu können. „Nicht so laut!” befahl
der Zauberer barsch, und die Stimmen klangen leiser. „So, jetzt beginnt für
mich ein ruhiges Leben ohne die zudringlichen Menschen”, sagte er
zufrieden. „Ihr irrt, mächtiger Zauberer!” hörte Hurrikap eine Stimme dicht
an seinem Ohr, und eine Elster setzte sich auf seine Schulter. „Verzeiht mir
meine Dreistigkeit, aber hier leben Menschen, und es sind ihrer gar nicht
wenige.” „Unmöglich!” rief unmutig der Zauberer. „Warum habe ich sie
nicht gesehen?”
„Ihr seid sehr groß, in unserem Lande aber sind die Menschen sehr klein”,
rief lachend die Elster und flog davon. Die Elster hatte die Wahrheit gesagt.
Hurrikap war so groß, daß er mit dem Kopf die Wipfel der höchsten Bäume
erreichte. Seine Sehkraft aber war durch das Alter geschwächt, und Brillen
kannten damals selbst die gewandtesten Zauberer noch nicht.
Hurrikap wählte eine große Wiese aus, legte sich ins Gras und blickte
gespannt in das Dickicht. Da gewahrte er viele kleine Gestalten, die sich
ängstlich hinter den Bäumen verbargen.
„He, ihr Menschlein, kommt her!” befahl der Zauberer mit Donnerstimme.
Die Menschen traten aus dem Wald hervor und blickten den Zauberer
furchtsam an. „Wer seid ihr?” fragte er streng.
„Wir sind die Bewohner dieses Landes, aber wir haben nichts verbrochen”,
sagten die Menschlein zähneklappernd. „Ich sage ja nicht, daß ihr etwas
verbrochen habt”, entgegnete Hurrikap. „Ich hätte mich wirklich besser
umsehen müssen, bevor ich diesen Ort wählte, aber was geschehen ist, ist
geschehen, ich will nichts zurückzaubern. Dieses Land bleibt ein Zauberreich für alle Zeiten, nur werde ich mir ein ruhiges Plätzchen darin
aussuchen.”
Hurrikap ging in die Berge, und flugs hatte er sich einen prächtigen Palast
erbaut. Den Bewohnern des Zauberlandes aber verbot er strengstens, sich
dem Palast zu nähern. Der Befehl wurde viele Jahrhunderte lang genau
befolgt. Dann starb der Zauberer, und der Palast verfiel. Dennoch wagte es
niemand, das Verbot zu übertreten.
Später geriet Hurrikap in Vergessenheit. Die Menschen, die in diesem
weltabgeschiedenen Land lebten, glaubten, daß es hier immer so gewesen
sei wie jetzt: hohe Berge ringsum, ewiger Sommer und Tiere und Vögel, die
wie Menschen sprachen…
Erster Teil
DIE HÖHLE
VOR TAUSEND JAHREN
Die Bevölkerung des Wunderlandes
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