Wer im Trueben fischt
an Emma vorbei hinunter zur Archivarin. Emma hörte die Stimmen der beiden, eine scherzhafte Begrüßung, ein paar Worte zu den mitgebrachten Papieren. Dann kam die Frau ohne Karton zurück. Sie schaute auf Emma, die noch immer an der gleichen Stelle der Treppe stand. Wieder lächelte sie kurz, nickte und ließ die Tür von außen hinter sich zufallen.
Emma starrte ihr nach. Natürlich, Bohmann hatte einen Helfer! Jemanden, der die neuen Steuergesetze der Nazis kannte und das schon 1934. Jemanden aus der Finanzverwaltung.
Sie drehte sich um und ging rasch zurück zur Archivarin. Die hob überrascht den Kopf.
»Ist noch was?«
»Kann ich irgendwo sehen, wer den Steuerbescheid bearbeitet hat?«
Die Frau nickte.
»Ja, da gibt es Zahlencodes, die kann man zuordnen. Zeigen Sie mal.«
Emma reichte ihr den Ordner von 1934. Die Frau gab den Code in den Computer ein. Emma hatte einen trockenen Mund.
»Hier, warten Sie. Bearbeitet von Anton Steiner.«
»Anton …« Nein, dachte Emma. Bitte nicht.
Sie sah die Frau an, sie soll zurücknehmen, was sie gerade gesagt hatte. Aber die Archivarin sah nicht auf, sondern scrollte mit der Maus die Liste entlang.
»Das ist ja merkwürdig.«
Emma fragte mit heiserer Stimme:
»Was ist merkwürdig?«
Die Frau zeigte auf den Bildschirm.
»Anton Steiner hat sich in dem Jahr zum Finanzamt Moabit versetzen lassen. In die Reichsfluchtsteuerstelle.«
»Na und? Jeder fängt doch mal wo an.«
Jetzt sah die Frau hoch. Emma bemerkte, wie sie zusammenzuckte. Ich sehe bestimmt schrecklich aus, dachte Emma. Die Frau fing sich wieder und sagte:
»Der Mann hat sich 1934 nach Moabit versetzen lassen. Was glauben Sie, was da los war. Es gab zu der Zeit vermutlich keinen Arbeitsplatz im Finanzamt, der stärker überlastet war.«
Sie drehte sich wieder zu ihrem Computer und fuhr die Liste entlang, als könnte sie nicht glauben, was sie da sah.
»Die Nazis sind gerade an der Macht, und der Mann geht freiwillig an den Posten, der die Ausreisen bearbeitet. Ob das der Steiner ist, der später Finanzsenator wurde?«
Als sie keine Antwort erhielt, hob sie den Kopf. Aber Emma war schon verschwunden.
Immer einen Fuß vor den nächsten setzend, ging Emma die Straße entlang. Sie sah nicht, wo sie langging, sie hörte nicht die Autos und auch nicht den schimpfenden Fahrradfahrer, der ihr ausweichen musste. Ihr Atem ging schnell, und sie knirschte mit den Zähnen. Ganz plötzlich blieb sie stehen, so dass eine Frau mit einem Einkaufskorb fast in sie hineingelaufen wäre. Sie holte ihr Handy aus der Tasche. Hoffentlich hatte sie die Nummer der Referentin von der Universität eingespeichert. Während es läutete, brauste ein Lieferwagen an ihr vorbei. Sie stellte sich in die Ecke einer Bushaltestelle und presste das Handy an ihr Ohr. Nachdem es zweimal geklingelt hatte, nahm jemand ab.
»Anne Friedrich?«
»Frau Friedrich, hier ist Emma Vonderwehr. Ich bin die Journalistin, die …«
»Ich weiß noch, wer Sie sind. Kann ich Sie zurückrufen, ich bin gerade …«
»Nein, warten Sie! Es geht ganz schnell und ist wirklich dringend. Hat Martha Steiner sich um die Betreuung von Rosenberg bemüht?«
Stille. Dann fragte die Referentin:
»Wie meinen Sie das?«
»Hat sie darum gebeten, Rosenberg herumzuführen? Oder ist sie ihm zugeteilt worden?«
»Nein.«
»Was nein?«
»Es gab keine Zuteilung, wie Sie das nennen. Eine Martha Steiner bittet auch nicht um etwas. Sie hat das so bestimmt.«
Emma traf die Antwort wie ein Faustschlag. Sie lehnte ihren Kopf an die Scheibe des Bushäuschens. Ihre letzte Hoffnung, alles könnte nur ein Zufall sein, verpuffte.
Anne Friedrichs Stimme drang zu ihr:
»Sind Sie noch da?«
Emma flüsterte:
»Ja.«
»Sie hat mit ihren guten Englischkenntnissen argumentiert. Die Mitglieder im Stiftungsrat sind ja nicht gerade die Jüngsten. Und Englisch kann dort tatsächlich kaum jemand.«
»Ja. Danke. Entschuldigung, dass ich Sie aufgehalten habe.«
»Schon gut.«
Anne Friedrich machte eine kurze Pause, dann lachte sie leise.
»Ich habe eigentlich gar nichts zu tun. Das soll man nur immer sagen. Damit man beschäftigt wirkt.«
Sie gehört da nicht hin, dachte Emma. Und obwohl ihre Gedanken jetzt bei Martha Steiner waren, fragte sie die Referentin:
»Was machen Sie jetzt?«
»Wie meinen Sie das?«
»Ich glaube, Sie sollten da nicht bleiben. Sie sind zu ehrlich für den Job.«
Einen Moment lang sagte niemand etwas. Eine Frau im engen Rock blieb vor Emma stehen und
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