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Wer nie die Wahrheit sagt

Wer nie die Wahrheit sagt

Titel: Wer nie die Wahrheit sagt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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Simon die Wasseroberfläche durchbrach, hörte er hinter sich noch zwei Platscher.
    Herrgott, es gab ohne Zweifel nichts Kälteres auf Gottes Erden als dieses Wasser. Aber was hatte er erwartet? Er war in Schweden, und es war November, verflucht noch mal. Simon fragte sich, wie lange er es wohl aushalten würde, bevor er erfror. Er kämpfte nicht dagegen an, ließ sich einfach so rasch und leise wie möglich sinken und versuchte dabei nicht an die Kälte zu denken und wie sie bereits seine Beine lähmte. Er musste entkommen, oder er würde sterben, entweder am eisigen Wasser oder an einer Kugel. Fieberhaft arbeitete er an den Fesseln, bis er auf dem Boden des Kanals aufkam, dann wandte er sich ab, weg von dort, wo er die Männer vermutete. Er schwamm, so gut es eben ging, wenn man nur die Beine zur Verfügung hatte, in die entgegengesetzte Richtung, wieder den Kanal hinab, Richtung Stadt. Dabei versuchte er in Ufernähe zu kommen, wo es mehr Deckung gab und er aus diesem Eiswasser rausklettern konnte.
    Allmählich ging ihm der Atem aus, und er glaubte, das Herz bliebe ihm stehen vor Kälte. Ihm blieb nicht mehr viel Zeit, da half alles nichts. Er strampelte sich nach oben, durchbrach wieder die Wasseroberfläche, er sah, dass Ian und Nikki ebenfalls im Wasser waren und miteinander sprachen, aber nur leise, denn sie lauschten nach ihm. Verdammt, er hatte die Hände noch immer nicht frei.
    Dann hörte Simon einen lauten Ruf. Sie hatten ihn entdeckt. Er sah, wie Alpo hektisch auf ihn zuruderte.
    Endlich gelang es ihm, die blutigen Fesseln abzustreifen. Sein Blut vermischte sich mit dem Wasser. Eigentlich hätte es jetzt höllisch brennen sollen, aber er fühlte gar nichts, seine Hände waren vollkommen taub.
    Alpo erhob sich, um auf ihn zu schießen, doch Simon tauchte im letzten Moment unter. Das war ganz schön knapp gewesen, zu knapp. Er tauchte mindestens drei Meter tief und schwamm dann mit aller Kraft aufs Ufer zu.
    Als er abermals auftauchte, seine Lungen brannten wie Feuer, war das Boot fast über ihm. Das zweite Boot war ein wenig weiter hinten, und jetzt saßen alle Männer darin und suchten das schwarze Wasser nach ihm ab.
    Ian brüllte: »Da ist er! Schnappt ihn!«
    Schüsse ließen das Wasser um ihn herum aufspritzen.
    Dann hörte er die Sirenen, mindestens drei.
    Abermals tauchte er, noch tiefer diesmal, und änderte seine Richtung, schwamm direkt auf die Sirenen zu. Es war so kalt, dass ihm die Zähne wehtaten.
    Als er glaubte, seinen Atem keine Sekunde länger anhalten zu können, das Wasser keine Sekunde länger ertragen zu können, tauchte er vorsichtig auf. Lautlos durchbrach sein Kopf die Wasseroberfläche.
    Er konnte kaum glauben, was er sah. Ein halbes Dutzend Streifenwagen hielt mit quietschenden Reifen am Kanalufer, keine drei Meter von ihm entfernt. Männer mit gezückten Pistolen tauchten auf und riefen etwas auf Schwedisch. Scheinwerfer wurden auf Ian und seine Truppe gerichtet.
    Ein Mann streckte die Hand aus und zog Simon aus dem Wasser. »Mr. Russo, nehme ich an?«

27
    Lily betrat, neben Olafs Rollstuhl hergehend, die große Eingangshalle mit den riesigen schwarzweißen Marmorquadraten und den neunzig Zentimeter großen Schachfiguren, die auf den gegenüberliegenden Seiten aufgereiht standen, alle an ihren korrekten Stellen, bereit zum Spiel.
    Er bedeutete einem Diener, ihn in der Mitte des Schachbretts stehen zu lassen, direkt auf Feld fünf, dem Feld des weißen Königs. Er schaute Lily an, die neben dem weißen König stand, dann warf er einen Blick auf die Uhr an seinem dick geäderten Handgelenk und krächzte: »Sie haben beim Dinner nicht viel gegessen.«
    »Nein«, sagte sie nur.
    »Er ist inzwischen tot. Das müssen Sie akzeptieren.«
    Lily blickte auf die weiße Königin hinunter. Sie fragte sich, wie schwer die Figur wohl sein mochte. Konnte sie sie anheben und auf diesen bösen Alten niederdonnern lassen? Sie warf einen Blick auf den stummen Kammerdiener, der ganz in Weiß gekleidet war wie ein Krankenpfleger, und sagte: »Warum schaffen Sie sich keinen elektrischen Rollstuhl an? Es ist doch lächerlich, dass dieser Mann Sie überall hinschieben muss.«
    Olaf wiederholte, diesmal mit nicht mehr ganz so sanfter Stimme: »Er ist tot, Lily.«
    Jetzt schaute sie ihn an und erwiderte: »Nein, das glaube ich nicht, aber Sie werden schon bald tot sein, nicht?«
    »Wenn Sie so reden, dann weiß ich, dass Sie überhaupt nicht sind wie Ihre Großmutter, obwohl Sie ihr äußerlich so sehr

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