Werke
Himmel.
7. Das Nachwort
So weit habe ich, der Urenkel, aus dem Lederbuche des Doktors ausgezogen, und so weit ist alles an ihm, der uns immer wie ein Wundermann erschienen war, gewöhnlich, wie bei allen andern Leuten, und wird auch in dem ganzen Buche fort gewöhnlich sein. Es ist noch recht viel übrig; aber das Lesen ist schwer. Oft ist kein rechtes Ende, oft deutet sich der Anfang nur an, manchmal ist die Mitte der Ereignisse da, oder es ist eine unverständliche Krankengeschichte. Ich habe in den mit dem Messer verwundeten Blättern geblättert. Ich mußte da über viele Jahre gegangen sein; denn es war ein häufiger Tinten- und Schriftwechsel, es standen Witterungsbeobachtungen, häusliche und Feldarbeiten, daß man sah, daß zur Ansammlung dieser Schriften Jahre vergangen sein mögen. Oft waren ganze Abteilungen in das fahleste Eisenockergelb geschossen, indessen oft Randbemerkungen aus späteren Zeiten mit dem glänzendsten Schwarz dastanden, wie übermütige Ansiedler und Anbauer, welche die armen Ureinwohner fast zu verdrängen strebten. Auch ist die Handschrift oft sehr schwer zu entziffern. Wie gewöhnlich und nur für ihn geschrieben manches auch ist, so ist wieder vieles lieb und schön und oft wahrhaft erhebend.
Ich habe noch recht viel zu erzählen, und werde es in der Zukunft tun, wenn ich es zu Ende geziffert und ausgezogen habe: wie die Hochzeit gewesen ist, wie Margarita von allen Bewohnern des Doktorhauses geliebt worden ist, wie er mit dem herben, weichen, kindlichen Mädchen gelebt habe. Wie ihr Vater, der Obrist, uralt geworden, wie er gestorben sei, und eine Ruhestätte neben seinem Weibe habe, wie der Doktor fortgewirkt, wie er bei der Einführung der Kartoffeln so viele Hindernisse gehabt habe, wie er, wenn die früheren Pferde alt und untauglich wurden, immer wieder Rappen hatte, wie er zu Kranken weit und breit ging, wie viele in sein Haus kamen, und dann bei den Ihrigen erzählten, daß eine schöne, milde, alternde Frau in seinem Hause herum gehe, wie er selber sehr alt geworden ist – ich muß endlich erzählen, wie das obere Haus weg gekommen ist, ich muß erzählen, wie die Bilder fort gekommen sind, sowohl die, welche Margarita zur Aussteuer erhalten hat, als auch die, welche sie erbte.
Mein Großvater hat erzählt, daß der Doktor, als er sehr alt war, als ihm seine Strümpfe schlotterten, als sein Rücken gekrümmt war, als ihm die Schnallenschuhe zu groß geworden waren, oft an seinem kunstreich geschnitzten Schreibgerüste, auf das er in seinem langen Leben so viel gelegt und gestellt hatte, daß er am Ende selber kaum Platz hatte, gesessen war, und in einem großen Buche gelesen habe, von dem rote und blaue Siegel nieder hingen.
Seine letzte Heilung ist ein Kind gewesen. Er war schon lange nirgends mehr hin gegangen, in der Gegend waren drei neue Doktoren aufgestanden – da war im Eidun ein Kind krank, ein schönes Mädchen freundlicher Eltern man hat ihm alles gegeben, was möglich war, aber das Kind wurde immer schlechter. Die Ärzte sagten endlich, es sei vergebens, das Kind müsse sterben. Da fiel den Eltern der alte Doktor ein, der zu Thal ob Pirling ein Haus habe, dort wohne und in dem Garten sitze. Sie gingen zu ihm und baten recht dringend. Er fuhr hinab, und ging an seinem Stabe mit den schneeweißen Haaren und gebeugt zu dem Kinde hinein. Da er es gesehen und um alles gefragt und eine Weile geschwiegen hatte, sagte er huldreich: »Das Kind wird nicht sterben.«
Er gab den Leuten etwas und sagte, daß man morgen zu ihm kommen und wieder etwas holen solle. – Die Eltern trugen den alten Mann fast wie einen Engel zu seinem Wagen hinaus. Sie gaben dem Kinde täglich, was sie von dem alten Doktor holten, es ward gesund, und blühte noch lange, da der Greis schon in seinem kühlen Grabe lag.
Er hatte zuletzt so weiße Haare, wie sie einst der Obrist gehabt hatte, nur daß der Obrist auch den weißen Bart trug, während der Doktor immer sauber rasiert ging.
Weil er gut gewirkt hat, ist er nie ein Kinderspott geworden.
Bei seinem Tode trug sich etwas Rührendes zu. Als man den Leichenzug ordnete, gingen plötzlich alle Zigeuner mit, welche sich zuweilen in den Wäldern gezeigt und nieder gelassen hatten, weil er sie einstens zu mehreren Malen freiwillig behandelt und manche aus ihnen geheilt hatte.
Mein Vater hat den zweiten Band der Mappe gar nicht gekannt. Er war in der alten Truhe und wurde erst von mir gefunden. Er war nicht gebunden, sondern nur in Hefte
Weitere Kostenlose Bücher