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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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gewonnen, die ihnen sonst nicht eigen war. Nataliens Augen, in welche ich schauen konnte, standen in einem Schimmer, wie ich sie nie, seit ich sie kenne, gesehen hatte. Das unermüdlich fließende Wasser, die Alabasterschale, der Marmor waren verjüngt; die weißen Flimmer auf der Gestalt und die wunderbar im Schatten blühenden Lichter waren anders; die Flüssigkeit rann, plätscherte oder pippte oder tönte im einzelnen Falle anders; das sonnenglänzende Grün von draußen sah als ein neues freundlich herein, und selbst das Hämmern, mit welchem man die Tünche von den Mauern des Hauses herabschlug, tönte jetzt als ein ganz verschiedenes in die Grotte von dem, das ich gehört hatte, als ich aus dem Hause gegangen war.
    Nach einer geraumen Weile sagte Natalie: »Und von dem Abende im Hoftheater habt Ihr auch nie etwas gesprochen.«
    »Von welchem Abende, Natalie?«
    »Als König Lear aufgeführt wurde.«
    »Ihr seid doch nicht das Mädchen in der Loge gewesen?« »Ich bin es gewesen.«
    »Nein, Ihr seid so blühend wie eine Rose, und jenes Mädchen war blaß wie eine weiße Lilie.«
    »Es mußte mich der Schmerz entfärbt haben. Ich war kindisch, und es hat mir damals wohlgetan, in Euren Augen allein unter allen denen, die die Loge umgaben, ein Mitgefühl mit meiner Empfindung zu lesen. Diese Empfindung wurde durch Euer Mitgefühl zwar noch stärker, so daß sie beinahe zu mächtig wurde; aber es war gut. Ich habe nie einer Vorstellung beigewohnt, die so ergreifend gewesen wäre. Ich sah es als einen günstigen Zufall an, daß mir Eure Augen, die bei dem Leiden des alten Königs übergeflossen waren, bei dem Fortgehen aus dem Schauspielhause so nahe kamen. Ich glaubte, ihnen mit meinen Blicken dafür danken zu müssen, daß sie mir beigestimmt hatten, wo ich sonst vereinsamt gewesen wäre. Habt Ihr das nicht erkannt?«
    »Ich habe es erkannt, und habe gedacht, daß der Blick des Mädchens wohlwollend sei, und daß er ein Einverständnis über unsere gemeinschaftliche Empfindung bei der Vorstellung bedeuten könne.«
    »Und Ihr habt mich also nicht wieder erkannt?« »Nein, Natalie.«
    »Ich habe Euch gleich erkannt, als ich Euch in dem Asperhofe sah.«
    »Es ist mir lieb, daß es Eure Augen gewesen sind, die mir den Dank gesagt haben; der Dank ist tief in mein Gemüt gedrungen. Aber wie konnte es auch anders sein, da Eure Augen das Liebste und Holdeste sind, was für mich die Erde hat.«
    »Ich habe Euch schon damals in meinem Herzen höher gestellt als die andern, obwohl Ihr ein Fremder waret, und obwohl ich denken konnte, daß Ihr mir in meinem ganzen Leben fremd bleiben werdet.«
    »Natalie, was mir heute begegnet ist, bildet eine Wendung in meinem Leben, und ein so tiefes Ereignis, daß ich es kaum denken kann. Ich muß suchen, alles zurecht zu legen und mich an den Gedanken der Zukunft zu gewöhnen.«
    »Es ist ein Glück, das uns ohne Verdienst vom Himmel gefallen, weil es größer ist als jedes Verdienst.«
    »Drum lasset uns es dankbar aufnehmen.« »Und ewig bewahren.«
    »Wie war es gut, Natalie, daß ich die Worte Homers, die ich heute nachmittag las, nicht in mein Herz aufnehmen konnte, daß ich das Buch weglegte, in den Garten ging, und daß das Schicksal meine Schritte zu dem Marmor des Brunnens lenkte.«
    »Wenn unsere Wesen zu einander neigten, obgleich wir es nicht gegenseitig wußten, so würden sie sich doch zugeführt worden sein, wann und wo es immer geschehen wäre, das weiß ich nun mit Sicherheit.«
    »Aber sagt, warum habt Ihr mich denn gemieden, Natalie?«
    »Ich habe Euch nicht gemieden, ich konnte mit Euch nicht sprechen, wie es mir in meinem Innern war, und ich konnte auch nicht so sein, als ob Ihr ein Fremder wäret. Doch war mir Eure Gegenwart sehr lieb. Aber warum habt denn auch Ihr Euch ferne von mir gehalten?«
    »Mir war wie Euch. Da Ihr so weit von mir waret, konnte ich mich nicht nahen. Eure Gegenwart verherrlichte mir alles, was uns umgab, aber das dunkle künftige Glück schien mir unerreichbar.«
    »Nun ist doch erfüllet, was sich vorbereitete.« »Ja, es ist erfüllt.«
    Nach einem kleinen Schweigen fuhr ich fort: »Ihr habt gesagt, Natalie, daß wir das Glück, das uns vom Himmel gefallen ist, ewig aufbewahren sollen. Wir sollen es auch ewig aufbewahren. Schließen wir den Bund, daß wir uns lieben wollen, so lange das Leben währt, und daß wir treu sein wollen, was auch immer komme, und was die Zukunft bringe, ob es uns aufbewahrt ist, daß wir in Vereinigung die Sonne

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