Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
Vom Netzwerk:
unter denen abermals Steine lagen, aber kleine, als wären sie zum Sitzen hergelegt worden. Der Reiter versuchte die Steine als Sitze, und sie taugten. Da er wieder aufgestanden war, und weiter gehen wollte, hörte er plötzlich Stimmen. Es war ein Gesang so klar und schmetternd wie von Lerchen. Es waren aber nicht Lerchenstimmen, sondern Menschenstimmen, Mädchenstimmen. Sie sangen jenes Lied ohne Worte, in welchem im Walde und in Bergen das Herz sich in allerlei Schwingungen der Stimme, im Stürzen und Heben derselben, im Wandeln und Bleiben ausspricht. Es waren zwei Stimmen, die im Vereine und in Verschlingungen klangen. Sie erklangen, hoben sich, senkten sich, trugen sich, trennten sich, neckten sich, schmollten und jubelten. Es war die Lust und Freude, die sie tönten. Der Gesang schien näher zu kommen. Mit einem Male traten zwei Gestalten aus den Tannen hervor, und standen am Rande derselben Blöße wie der Reiter und in nicht großer Entfernung von ihm. Sie hielten sich mit zwei Armen die Nacken umschlungen, die anderen zwei Arme hatten sie frei. Es waren junge Mädchen mit bloßen Köpfen, von deren jedem zwei Zöpfe niedergingen. An den Armen war weißes Linnen, von den Brustlatzen, die rot waren, fiel der starkfaltige schwarze Rock hinab. Eines der Mädchen trug wilde rote Rosen, neben einander stehend, um das Haupt. Das andere hatte keine Zierde. Da sie auf die Wiese getreten waren, und den Mann sahen, hörte ihr Gesang auf. Sie blieben stehen, sahen auf ihn hin, und er stand gleichfalls, und sah auf sie. Dann begann er langsam gegen sie hin zu gehen. Sogleich trat dasMädchen, welches keine Rosen hatte, in den Wald zurück, das andere blieb stehen. Der Reiter ging zu demselben hin. Da er bei ihm angekommen war, sagte er: »Was stehst du mit deinen Rosen hier da?«
    »Ich stehe hier in meiner Heimat da«, antwortete das Mädchen; »stehst du auch in derselben, daß du frägst, oder kamst du wo anders her?«
    »Ich komme anders wo her«, sagte der Reiter.
    »Wie kannst du dann fragen?« entgegnete das Mädchen.
    »Weil ich es wissen möchte«, antwortete der Reiter.
    »Und wenn ich wissen möchte, was du willst«, sagte das Mädchen.
    »So würde ich es dir vielleicht sagen«, antwortete der Reiter.
    »Und ich würde dir vielleicht sagen, warum ich mit den Rosen hier stehe«, entgegnete das Mädchen.
    »Nun, warum stehst du da?« fragte der Reiter.
    »Sage zuerst, was du willst«, erwiderte das Mädchen.
    »Ich weiß nicht, warum ich es nicht sagen sollte«, erwiderte der Reiter, »ich suche mein Glück.«
    »Dein Glück? hast du das verloren?« sagte das Mädchen, »oder suchst du ein anderes Glück, als man zu Hause hat?«
    »Ja«, antwortete der Reiter, »ich gehe nach einem großen Schicksale, das dem rechten Manne ziemt.«
    »Kennst du dieses Schicksal schon, und weißt du, wo es liegt?« fragte das Mädchen.
    »Nein«, sagte der Reiter, »das wäre ja nichts Rechtes, wenn man schon wüßte, wo das Glück liegt, und nur hingehen dürfte, es aufzuheben. Ich werde mir mein Geschick erst machen.«
    »Und bis du der rechte Mann, wie du sagst?« fragte das Mädchen.
    »Ob ich der rechte Mann bin«, antwortete der Reiter, »siehe, das weiß ich noch nicht; aber ich will in der Welt das Ganze tun, was ich nur immer tun kann.«
    »Dann bist du vielleicht der Rechte«, erwiderte das Mädchen, »bei uns, sagt der Vater, tun sie immer weniger, als sie können. Du mußt aber ausführen, was du sagst, nicht bloß es sagen. Dann weiß ich aber doch noch nicht, ob du ein Schicksal machen kannst. Ich weiß auch nicht, ob du ein Schicksal machst, wenn du in unserem Walde auf der Wiese stehst.«
    »Ich darf da stehen«, sagte der Reiter, »denn heute ist Sonntag, der Ruhetag für Menschen und Tiere, wenn es nicht eine Not und Notwendigkeit anders heischt. Mein Pferd habe ich eingestellt. Ich bin in den Wald herauf gegangen, zu beten. Und für den übrigen Tag will ich versuchen, ob ich nicht zu dem Steine der drei Sessel hinauf gelangen kann.«
    »Das kannst du«, sagte das Mädchen, »es geht ein Pfad hinauf, den du immer wieder leicht findest, wenn du ihn einmal verlierst. Weil aber der Stein von dem Grunde, der um ihn herum ist, wie eine gerade Mauer aufsteigt, so haben sie Stämme zusammen gezimmert, haben dieselben an ihn gelehnt, und durch Hölzer eine Treppe gemacht, daß man auf seine Höhe gelangen kann. Du mußt aber oben sorgsam sein, daß dein Haupt nicht irre wird; denn du stehst in der Luft allein über

Weitere Kostenlose Bücher