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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adalbert Stifter
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allen Wipfeln.«
    »Bist du schon oben gestanden?« fragte der Reiter.
    »Ich werde doch, da ich so nahe bin«, antwortete das Mädchen.
    »Nun«, sagte der Reiter, »wenn du schon oben gestanden bist, so werde auch ich oben stehen.«
    »Und wenn du heute von den drei Sesseln herunter kommst«, sagte das Mädchen, »dann reitest du morgen nach deinem Geschicke weiter?«
    »Ich werde weiter reiten«, sagte er; »warum hast du die Rosen?«
    »Muß ich antworten, wenn ich gefragt werde?« sagte das Mädchen.
    »Wenn die Eltern fragen, mußt du antworten«, entgegnete der Reiter, »wenn jemand anderer artig fragt, sollst du, und wenn du es versprochen hast, mußt du antworten.«
    »So will ich dir so viel sagen, als du gesagt hast«, antwortete das Mädchen, »ich trage die Rosen, weil ich will.«
    »Und warum willst du denn?« fragte der Reiter.
    »Für den Willen gibt es keine Ursache«, sagte das Mädchen.
    »Wenn man vernünftig ist, gibt es für den Willen immer eine Ursache«, erwiderte der Reiter.
    »Das ist nicht wahr«, sagte das Mädchen, »denn es gibt auch Eingebungen.«
    »Trägst du die Rosen aus Eingebung?« fragte der Reiter.
    »Das weiß ich nicht«, entgegnete das Mädchen, »aber wenn du mir mehr von dir sagst, so sage ich dir auch mehr.«
    »Ich kann dir nicht viel sagen«, antwortete der Reiter, »ich habe eine Mutter, die in Baiern wohnt, mein Vater ist gestorben, und ich reite jetzt in die Welt, um meine Lebenslaufbahn zu beginnen.«
    »So will ich dir auch etwas sagen«, erwiderte das Mädchen. »Meine Eltern haben von hier weiter oben ein Haus. Wir würden es erreichen, wenn wir hier in den Wald gingen, wo ich mit meiner Gespanin herausgetreten bin, wenn wir in dem Walde nach aufwärts gingen, bis wir ein Wasser rauschen hörten, und wenn wir dann zu dem Wasser gingen, und demselben immer entgegen, dann würden endlich Wiesen und Felder kommen, und in ihnen das Haus. An dem Hause ist ein Garten, wo die Sonnenseite ist, und in dem Garten stehen viele Blumen. Und an der Hinterseite des Hauses geht ein Riegel gegen die Tannen, auf welchem viele Waldrosen stehen, und diese nehme ich oft.«
    »Hast du die Rosen heute aus Eingebung genommen? Sie sind mir ein Zeichen, daß meine Fahrt gelingen wird«, sagte der Reiter.
    »Ich habe einen Metallring, in welchen die Rosenstiele passen«, sagte das Mädchen, »habe heute Rosen genommen, habe sie in den Ring gesteckt, und den Ring auf das Haupt getan.«
    »Weil wir noch mehr sprechen werden«, sagte der Reiter, »so gehen wir ein wenig an dem Waldsaume hin, woher du mich kommen gesehen hast. Da werden wir Steine finden, welche zu Sitzen taugen. Auf dieselben können wir uns setzen, und dort sprechen.«
    »Ich weiß es nicht, ob ich noch mehreres mit dir sprechen werde«, antwortete das Mädchen, »aber ich gehe mit dir zu den Steinen, und setze mich ein wenig zu dir. Ich kenne die Steine, ich selber habe die Sitze machen lassen. Im Sommer ist es am Vormittage dort sehr heiß, am Nachmittage aber schattig. Im Herbste ist es vormittags lieblich und mild.«
    Sie wandelten nun in der Richtung an dem Saume des Waldes hin, in welcher der Reiter zu den Mädchen hergekommen war. Sie hatten bald jene Steine erreicht, an denen der Reiter versucht hatte, ob sie zu Sitzen tauglich wären. Er blieb stehen, und harrte, bis das Mädchen sich gesetzt hatte. Es setzte sich auf einen glatten Stein. Der Reiter setzte sich zu ihrer Linken auf einen, der etwas niederer war, so daß nun sein Angesicht mit dem ihrigen fast in gleicher Höhe war. Das Schwert ragte zu seiner Linken in die niederen Steine hinab. Sie sprachen nun nichts.
    Nach einer Weile sagte der Reiter: »So rede etwas.«
    »So rede du etwas«, antwortete sie, »du hast gesagt, daß du mit mir noch sprechen willst.«
    »Ich weiß jetzt nicht mehr, was ich sagen wollte«, entgegnete er.
    »Nun, ich auch nicht«, sagte sie.
    Nach einer Zeit sagte der Reiter: »Es ist wahr, was du gesprochen hast, daß an Vormittagen die Sonne sehr mild auf diese Steine scheint.«
    Sie antwortete nicht. Nach einer Weile sagte sie: »Trägst du immer diese häßliche Haube auf deinem Haupte?«
    »Nein, nur wenn ich sie brauche«, sagte er, »sie ist sehr leicht herab zu nehmen.«
    Bei diesen Worten nahm er die Lederhaube samt ihrem Anhange von seinem Haupte, und eine Fülle schöner blonder Haare rollte auf seinen Nacken herab. Die Haube legte er in das Gras.
    »Ach, was Ihr für schöne Haare habt!« sagte das Mädchen.
    »Und was du

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