Werke
›Fehlt dir etwas, Agnes?‹
›Mir, Harre? Ich glaube nicht‹, sagte ich. ›Der Wind wehte so kühl über mich hin.‹ – Das war nun wohl gelogen; allein der liebe Gott hat es nun einmal so eingerichtet, daß wir in solchem Fall nicht sagen können, was der andere eben hören will.
›Aber mir fehlt nun etwas‹, sagte Harre, ›das Allerbeste fehlt mir!‹
Ich antwortete nichts hierauf, kein Wörtlein. Auch Harren ging eine Weile schweigend neben mir; dann fragte er auf einmal: ›Was meinst du, Agnes, ob es wohl schon geschehen ist, daß eine Krämerstochter einen Tischlermeister geheiratet hat?‹
Als ich aufsah und er mich mit seinen guten braunen Augen so bittend anblickte, da gab ich ihm die Hand und sagte ebenso: ›Das wird wohl nun zum erstenmal geschehen.‹
›Agnes‹, rief Harre, ›was werden die Leute sagen!‹
›Ich weiß nicht, Harre. – Aber wenn nun die Krämerstochter arm wäre?‹
›Arm, Agnes?‹ und er faßte mich so recht lustig bei beiden Händen; ›ist denn jung und hübsch noch nicht genug?‹ –
Es war ein glücklicher Tag damals; die Frühlingssonne schien, wir gingen Hand in Hand; und während wir schwiegen, sangen über uns die Lerchen aus tausend hellen Kehlen. So waren wir unmerklich an den Brunnen gekommen, der an der Holunderwand des Gartens dem Hause gegenüber lag. Ich blickte über die Brettereinfassung in die Tiefe hinab. ›Wie drunten das Wasser glitzert!‹ sagte ich.
Das Glück macht mutwillig; Harre wollte mich necken. ›Das Wasser?‹ sagte er. ›Das ist das Gold, das aus der Tiefe funkelt.‹
Ich wußte nicht, was er damit meinte.
›Weißt du denn nicht, daß ein Schatz in eurem Brunnen liegt?‹ fuhr er fort. ›Guck nur genau zu; es sitzt ein graues Männlein mit dreieckigem Hut auf dem Grunde. Vielleicht ist’s auch nur das brennende Licht in seiner Hand, das drunten so seltsam glitzert; denn er ist der Hüter des Schatzes.‹
Mir flog die Not meines Vaters durch den Sinn. Harre hob einen Stein auf und warf ihn hinab, und es dauerte eine Weile, ehe ein dumpfer Schall zu uns zurückkam. ›Hörst du, Agnes?‹ sagte er, ›das traf auf die Kiste.‹
›Harre, red vernünftig!‹ rief ich, ›was treibst du für Narrenspossen!‹
›Ich spreche nur nach, was die Leute vorsprechen!‹ erwiderte er.
Aber meine Neugierde war geweckt, vielleicht auch die Begierde nach den unterirdischen Reichtümern, die aller Not ein Ende machen konnten.
›Woher hast du das Gerede?‹ fragte ich nochmals, ›ich habe doch nie davon gehört.‹
Harre sah mich lachend an: ›Was weiß ich! von Hans oder Kunz, ich glaub, am letzten Ende kommt es von dem Halunken, dem Goldmacher.‹
›Von dem Goldmacher?‹ – Mir kamen allerlei Gedanken. Der Goldmacher war ein herabgekommener Trödler; er konnte segnen und raten, Menschen und Vieh besprechen und alle die andern Geheimnisse, womit derzeit noch bei den Leichtgläubigen ein einträgliches Geschäft zu machen war. Es ist derselbe, den sie jetzt den Spökenkieker nennen, welchen Namen er grade so gut wie seinen damaligen verdient hat. Er war in den letzten Tagen, da ich eben auf der Außendiele zu tun hatte, ein paarmal in meines Vaters Schreibstube gegangen und hatte sich dann, ohne auf sein demütig gesprochenes ›Herr Hansen bei der Hand?‹ meine Antwort abzuwarten, mit scheuem Blick an mir vorbeigeschoben. Einmal war er fast eine Stunde drinnen gewesen; kurz vor seinem Fortgehen hatte ich das mir wohlbekannte Pult meines Vaters aufschließen hören; dann war mir gewesen, als vernehme ich das Klirren von Geldstücken. Das alles kam mir jetzt in den Sinn.
Aber Harre rüttelte mich auf. ›Agnes, träumst du?‹ rief er; ›oder willst du Schätze graben?‹ Ach, er kannte nicht die Not meines Vaters; ihm lag nur die eigene Zukunft in Gedanken, in die auch ich hineingehörte. Er ergriff meine beiden Hände und rief fröhlich: ›Wir brauchen keine Schätze, Agnes; mein kleines Erbteil hat dein Vater schon für mich erhoben; das reicht hin, um Haus und Werkstatt einzurichten. Und für das Weitere‹, fügte er lächelnd hinzu, ›laß diese nicht ganz ungeschickten Hände sorgen!‹
Ich vermochte seine hoffnungsreichen Worte nicht zu erwidern; der Schatz und der Goldmacher lagen mir im Sinn; ich weiß nicht, war es eine tollkühne Hoffnung oder der Schatten eines drohenden Unheils, was mir die Brust beklemmte. Vielleicht ahnte es mir, daß kurz darauf der Schatz meines ganzen Lebens in diesen Brunnen fallen
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