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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
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ausgestreuter Steig nach einer Lindenlaube, davor zwischen zweien Kirschbäumen hing eine Schaukel; zu beiden Seiten der Laube an der hohen Gartenmauer standen sorgfältig aufgebundene Aprikosenbäume. – Hier konnte man sommers in der Mittagsstunde deinen Urgroßvater regelmäßig auf und ab gehen sehen, die Aurikeln und holländischen Tulpen auf den Rabatten ausputzend oder mit Bast an weiße Stäbchen bindend. Er war ein strenger, akkurater Mann mit militärischer Haltung, und seine schwarzen Augbrauen gaben ihm bei den weißgepuderten Haaren ein vornehmes Ansehen.
    So war es einmal an einem Augustnachmittage, als dein Großvater die kleine Gartentreppe herabkam; aber dazumalen war er noch weit vom Großvater entfernt. – Ich sehe es noch vor meinen alten Augen, wie er mit schlankem Tritt auf deinen Urgroßvater zuging. Dann nahm er ein Schreiben aus einer sauber gestickten Brieftasche und überreichte es mit einer anmutigen Verbeugung. Er war ein feiner junger Mensch mit sanften freundlichen Augen und der schwarze Haarbeutel stach angenehm bei den lebhaften Wangen und dem perlgrauen Tuchrocke ab. – Als dein Urgroßvater das Schreiben gelesen hatte, nickte er und schüttelte deinem Großvater die Hand. Er mußte ihm schon gut sein; denn er tat selten dergleichen. Dann wurde er ins Haus gerufen und dein Großvater ging in den Garten hinab.
    In der Schaukel vor der Laube saß ein achtjähriges Mädchen; sie hatte ein Bilderbuch auf dem Schoß, worin sie eifrig las; die klaren goldnen Locken hingen ihr über das heiße Gesichtchen herab, der Sonnenschein lag brennend darauf.
    ›Wie heißt du?‹ fragte der junge Mann.
    Sie schüttelte das Haar zurück und sagte: ›Barbara.‹
    ›Nimm dich in acht, Barbara; deine Locken schmelzen ja in der Sonne.‹
    Die Kleine fuhr mit der Hand über das heiße Haar, der junge Mann lächelte – und es war ein sehr sanftes Lächeln. – – ›Es hat nicht Not‹, sagte er; ›komm, wir wollen schaukeln.‹
    Sie sprang heraus: ›Wart, ich muß erst mein Buch verwahren.‹ Dann brachte sie es in die Laube. Als sie wiederkam, wollte er sie hineinheben. ›Nein‹, sagte sie, ›ich kann ganz allein.‹ Dann stellte sie sich auf das Schaukelbrett und rief: ›Nur zu!‹ – Und nun zog dein Großvater, daß ihm der Haarbeutel bald rechts, bald links um die Schultern tanzte; die Schaukel mit dem kleinen Mädchen ging im Sonnenschein auf und nieder, die klaren Locken wehten ihr frei von den Schläfen. Und immer ging es ihr nicht hoch genug. Als aber die Schaukel rauschend in die Lindenzweige flog, fuhren die Vögel zu beiden Seiten aus den Spalieren, daß die überreifen Aprikosen auf die Erde herabrollten.
    ›Was war das?‹ sagte er und hielt die Schaukel an.
    Sie lachte, wie er so fragen könne. ›Das war der Iritsch‹, sagte sie, ›er ist sonst gar nicht so bange.‹
    Er hob sie aus der Schaukel, und sie gingen zu den Spalieren; da lagen die dunkelgelben Früchte zwischen dem Gesträuch. ›Dein Iritsch hat dich traktiert!‹ sagte er. Sie schüttelte mit dem Kopf und legte eine schöne Aprikose in seine Hand. ›Dich!‹ sagte sie leise.
    Nun kam dein Urgroßvater wieder in den Garten zurück. ›Nehm Er sich in acht‹, sagte er lächelnd. ›Er wird sie sonst nicht wieder los.‹ Dann sprach er von Geschäftssachen, und beide gingen ins Haus.
    Am Abend durfte die kleine Barbara mit zu Tisch sitzen; der junge freundliche Mann hatte für sie gebeten. – So ganz, wie sie es gewünscht hatte, kam es freilich nicht; denn der Gast saß oben an ihres Vaters Seite; sie aber war nur noch ein kleines Mädchen, und mußte ganz unten bei dem allerjüngsten Schreiber sitzen. Darum war sie auch so bald mit dem Essen fertig; dann stand sie auf und schlich sich an den Stuhl ihres Vaters. Der aber sprach mit dem jungen Mann so eifrig über Konto und Diskonto, daß dieser für die kleine Barbara gar keine Augen hatte. – Ja, ja, es ist achtzig Jahre her; aber die alte Großmutter denkt es noch wohl, wie die kleine Barbara damals recht sehr ungeduldig wurde und auf ihren guten Vater gar nicht zum besten zu sprechen war. Die Uhr schlug zehn, und nun mußte sie gute Nacht sagen. Als sie zu deinem Großvater kam, fragte er sie: ›Schaukeln wir morgen?‹, und die kleine Barbara wurde wieder ganz vergnügt. – ›Er ist ja ein alter Kindernarr, Er!‹ sagte der Urgroßvater; aber eigentlich war er selbst recht unvernünftig in sein kleines Mädchen verliebt.
    Am andern Tage gegen Abend

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