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Werke

Werke

Titel: Werke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Storm
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Mittel an mich, dem er sein vollstes Vertrauen entgegenbringe, eingehen; im übrigen solle ich den Arzt zum Teufel jagen; die Sternows hätten allzeit eine Konstitution gehabt, welche ohne diese Pfuscherkünste in das Geleise der Natur zurückzufinden wisse.
    Damit schloß das Schreiben; von einem persönlichen Kommen, sei es des Schreibers selber oder seiner Tochter, war nichts erwähnt. Die Geldsendung indessen erfolgte wirklich; es war eine elende Summe, die kaum ausgereicht hätte, die Wärterin auf länger Zeit zu besolden. – Sie sollte freilich hiefür noch mehr als ausreichend sein. Acht Tage waren vergangen, Archimedes wurde immer schwächer.
    Als ich dann eines Vormittags in sein Zimmer trat, fand ich ihn schwer atmend, mit geschlossenen Augen; in seinem Antlitz schien aufs neue eine Veränderung vorgegangen zu sein: ob zum Leben oder zum Tode, vermochte ich nicht zu erkennen; etwas wie eine ruhige Klarheit war in seinen Zügen, aber die Finger der Hand, welche auf der Decke lagen, zuckten unruhig durcheinander. Ich stand schon lange vor ihm, ohne daß er meine Anwesenheit bemerkt hätte.
    ›Der Herr ist schwerkrank!‹ sagte die Wärterin, die vor einer Tasse Kaffee in dem alten Lehnstuhl saß. ›Sehen Sie nur‹ – und sie fuhr sich mit der Hand unter ihrer Mütze hin und her, als wolle sie andeuten, daß es auch unter der Hirnschale des Kranken nicht in Ordnung sei –, ›alle die lackierten Stiefelchen habe ich dem Bette gegenüber in eine Reihe stellen müssen, und es wollte immer doch nicht richtig werden, bis ich endlich dort das eine Pärchen obenan und dann noch wieder eine Handbreit vor die andern hinausgerückt hatte. Du lieber Gott, so kleine Füßchen und soviel schöne Stiefelchen!‹
    Die Alte mochte dies etwas laut gesprochen haben; denn Archimedes fuhr mit beiden Händen an sein Gesicht und zupfte daneben in die Luft, als säße sein armer Kopf noch zwischen den steifen Vatermördern, die er in gewohnter Weise in die Richte ziehen müsse, dann schlug er die Augen auf und blickte um sich her. ›Du?‹ sagte er, und ein Anflug seines alten verbindlichen Lächelns flog um seinen Mund. ›Trefflich, trefflich!‹
    Er hatte das kaum verständlich hingemurmelt; aber plötzlich richtete er sich auf, und mich wie mühsam mit den Augen fassend, sprach er vernehmlich: ›Ich wollte dir doch etwas sagen! Weißt du denn nicht? Du mußt mir helfen; ich wollte dich ja deshalb holen lassen. – Ja so! Ich glaube‹ – er stieß diese Worte sehr scharf hervor –, ›es hätte etwas aus mir werden können; nicht wahr, du bist doch auch der Meinung? Ich habe darüber nachgedacht.‹
    Er schwieg eine Weile; dann warf er heftig den Kopf auf seinem Kissen hin und her. ›Pfui, pfui, man soll seine Eltern ehren; aber, weißt du – auf meines Vaters Gesundheit kann ich doch nicht wieder trinken; und darum –‹ Seine Hände fuhren auf dem Deckbett hin und her. ›Nein‹, hub er wieder an, ›lieber Freund, das war es doch nicht, was ich dir sagen wollte; entschuldige mich, du mußt das wirklich entschuldigen!‹

    Bei den letzten Worten waren seine Augen im Zimmer umhergeirrt, und seine Blicke verfingen sich an dem Stiefelpaar, womit er der Wärterin nach deren Erzählung so viele Mühe gemacht hatte; dem einzigen, welches Spuren des Gebrauches an sich trug.
    Ein glückliches Lächeln ging über sein eingefallenes Antlitz. ›Nun weiß ich es!‹ sagte er leise, und mit seiner abgezehrten Hand ergriff er die meine; die andere hob sich zitternd und wies mit vorgestrecktem Zeigefinger nach den Stiefeln. ›Das war unser letzter Ball, lieber Freund; du tanztest mit meiner Schwester, mit meiner kleinen Phia; aber sie war doch nicht vergnügt ... sie ist noch so jung; aber sie konnte nicht vergnügt sein – ich habe immer daran danken müssen: so allein mit dem Alten und den Zeitungen und dem – verfluchten Käfer!‹
    Er hatte beide Arme aufgestemmt und sah mit wilden Blicken um sich. ›Sie hat mir nicht geschrieben, gar nicht; auf alle meine Briefe nicht!‹
    Die Wärterin hob warnend ihre Hand. ›Der Herr spricht zuviel!‹ Aber Archimedes warf ihr seine Kavaliersaugen zu. ›Dummes Weib!‹ murmelte er; dann, wie von der letzten Anstrengung ermüdet, ließ er sich zurücksinken und schloß die Augen. Er atmete ruhig, und ich glaubte, er werde schlafen; aber noch einmal, ohne sich zu regen, flüsterte er mit unaussprechlicher Zärtlichkeit: ›Wenn ich nur erst das Examen ... Phia, meine liebe kleine

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