Berndorf, Jacques (Hrsg)
Nur noch einen
von Carsten Sebastian Henn
Nur noch einen!
Wilhelm Kremer packte den Schaltknüppel seines alten VW Käfers mit fester Hand und schaltete entschlossen einen Gang höher. Eine letzte Tat noch, dann gab es keinen dieser Tintenkleckser mehr. Dann würde die Eifel endlich befreit sein von diesem Geschwür. Keine Fragen mehr nach irren Serienkillern, nach der so wortkargen Bevölkerung, nach dem realen Hintergrund fiktiver Müll-, Kirchen- oder Kunstskandale. Endlich wäre die Eifel kein Hort des Verbrechens, keine Landschaft des steten Grauens mehr. Endlich wäre die Eifel wieder Eifel. Land der Vulkane, Heimat der Maare und vor allem: Sie wäre ausgestattet mit einem einmaligen Museum für Fossilien aus dem rheinischen Mitteldevon (inklusive großer Trilobiten-Abteilung). Wilhelm Kremer wertete die über den Eifelhöhen strahlende Sonne als göttliche Zustimmung zu seiner heutigen Todesfahrt. Er setzte den Blinker aus dem Kreisverkehr Richtung Wiesbaum so heftig, als könnte er damit eine Kugel lösen, die das nächste Opfer schon vor seinem Eintreffen ins Jenseits befördern würde.
Sein nächstes Opfer. Der Ursprung allen Übels. Dieser Schriftsteller war es gewesen, der den Eifelkrimi überhaupt erst erfunden hatte, der die Lawine der raubenden, mordenden, und vergewaltigenden Epigonen ausgelöst hatte. Mit ihm hatte es angefangen, mit ihm würde es enden.
Verachtet hatte er sie immer schon, doch erst gestern hatte das Ärgernis der Eifelkrimis ein Ausmaß angenommen, welches eine Lösung gefordert hatte.
Wilhelm Kremer hatte Jahre auf sein Fossilien-Museum hingearbeitet. Hatte gesammelt, hatte mit Engelszungen auf Politiker eingeredet, hatte auf Schützenfesten und Pfarrbasaren Geld eingetrieben. Denn es war schon lange bekannt gewesen, dass das Heimweberei-Museum in Schalkenmehren geschlossen werden sollte. Das in der Alten Schule untergebrachte und nur in sieben Monaten jeweils am Wochenende geöffnete Museum, rentierte sich einfach nicht. Das würde sich mit seiner exemplarischen Fossilien-Sammlung ändern! Zurzeit stand der Großteil seines Lebenswerks in den Glasvitrinen der Katholischen Grundschule St. Helena, wo er stellvertretender Direktor gewesen war. Aber das war kein ständiger Ort für eine Sammlung dieses Ranges. Selbst die klügsten Viertklässler wussten all die Körperfossilien, Steinkerne und Bioturbationen nicht wirklich zu würdigen.
Doch mit dem neuen Museum würden Paläontologen aus der ganzen Bundesrepublik, ach was, aus ganz Europa hierher in die Eifel nach Schalkenmehren pilgern.
Wenn er den letzten der Eifelkrimi-Autoren ausgelöscht hatte.
Und damit auch die törichte Idee eines Eifelkrimi-Museums im Heimweberei-Museum. Keine Eifelkrimi-Autoren, kein Eifelkrimi-Museum. Der Dauner Stadtrat würde seinen gestern gefassten Beschluss revidieren müssen. Die Eifel würde aufatmen.
Jetzt links halten, dachte Wilhelm Kremer und rückte seinen Pepitahut ordentlich zurecht.
Nur noch wenige Minuten. Er würde vorgehen wie bei allen zuvor. Noch einmal würde er in die Rolle des Alträuchers schlüpfen, der an der Tür nach Gebrauchtem fragte, das er ankaufen konnte. Natürlich ging heute niemand mehr diesem Gewerbe von Tür zu Tür nach. Aber dass es so etwas einmal gegeben hatte, das wussten die Herren und Damen Autoren. Und ließen ihn in den Keller oder auf den Speicher. Wo er dann zuschlug. Denn Wilhelm Kremer mordete nicht mit Schusswaffe, Klinge oder Strick, er erschlug die Täter mit ihrer eigenen Schande. Ihren Büchern.
Das war bei den Autoren mit Taschenbüchern selbstverständlich schwierig.
Da musste er ein Stahlrohr zwischen die Seiten legen. Das hatte er noch in seinem Schuppen gehabt. Es war übrig geblieben vom Bau der Teppichstange im Garten. Wie gut, dass er nie etwas wegwarf. Und es war sogar noch besser, dass er Paläontologe und seine Opfer nur Krimiautoren waren. Allein deshalb waren die Taten solch ein Kinderspiel. Diese Krimiautoren waren ja so untrainiert! Das kam vom ewigen Sitzen. Ein Paläontologe, selbst in seinem Alter, war fit, strotzte vor Leben. Schließlich war er ständig an der Luft, dachte Wilhelm Kremer, legte Fossilien frei, arbeitete körperlich, so wie es sich gehörte. Nach dieser letzten Tat würde seine ganze Energie allerdings dem Museum gehören (inklusive der großen Trilobiten-Abteilung).
Jetzt musste er weiter auf die Hillesheimer Straße, also einfach geradeaus. Ein Hochgefühl stieg – so nah am Ziel – in Wilhelm
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