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Wesen der Nacht

Wesen der Nacht

Titel: Wesen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
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erklären, dass es mir, nachdem ich den Zug verlassen hatte, schlagartig besser ging?
    Angefangen hatte es vor zwei Wochen, ausgerechnet an meinem sechzehnten Geburtstag. Dad war extra aus den Highlands nach London gekommen, einmal quer über die Insel, um den Tag mit Mom und mir zu verbringen. Nur mein Bruder Trick, der eigentlich Patrick heißt, war nicht dabei gewesen. Ihn hatte eine Sommergrippe ans Bett gefesselt, sodass er in Duirinish geblieben war. Wer weiß, vielleicht hatte Dad ja ein paar von Tricks Viren im Gepäck gehabt. Es war wie verhext. Seit Mom und Dad sich getrennt hatten und Mom und ich in London lebten, fehlte immer jemand bei Feiern und Festtagen. Bis vor drei Jahren war es stets Dad gewesen, der mit Abwesenheit geglänzt und lediglich angerufen oder Postkarten und E-Mails geschickt hatte.
    Dann war Trick, der bis dahin bei Mom und mir gelebt hatte, zu Dad gezogen. Seitdem bekam ich Dad häufiger zu Gesicht. Aber nie gleichzeitig mit meinem Bruder. Die beiden arbeiteten als Aufseher eines Naturschutzgebiets in den Highlands und vertraten sich gegenseitig. Warum ein Stück Landschaft nicht einmal für ein paar Tage unbeaufsichtigt bleiben konnte, hatte mir bisher allerdings niemand erklären können.
    »E s geht einfach nicht«, war der Satz, den ich regelmäßig zur Antwort bekam. Früher nur von Dad, inzwischen auch von Trick. Als würde die Welt untergehen, wenn niemand ein Auge auf diesen blöden Landstrich hatte.
    Dabei liebte ich diese Gegend, in der ich die ersten fünf Jahre meines Lebens verbracht hatte. Bis Mom und Dad sich getrennt hatten und Mom mit uns fortgezogen war. Unzählige Male hatte ich Mom angebettelt, Dad besuchen zu dürfen. Doch zu meinem Leidwesen erlaubte Mom es mir nie. Er sei zu beschäftigt und ich wäre ihm nur im Weg, behauptete sie dann. Also wirklich, ich war sechzehn, kein kleines Kind mehr, das rund um die Uhr beaufsichtigt werden musste! Trotzdem blieb sie unbeirrbar.
    Manchmal verstand ich meine Eltern nicht. Wenn ich die beiden zusammen sah, wollte mir einfach nicht in den Kopf, warum sie sich überhaupt getrennt hatten. Sie wirkten so harmonisch und gingen so liebevoll miteinander um. Sie telefonierten ständig und die Blicke, die sie einander zuwarfen, wenn Dad zu Besuch kam, sprachen Bände. Scheiden hatten sie sich auch nicht lassen und neulich hatte ich sie knutschend in der Küche erwischt, als sie eigentlich den Abwasch erledigen wollten! Sobald sie mich bemerkten, waren sie auseinandergefahren und hatten so getan, als wäre nichts passiert. Wenn sie stritten, taten sie es hinter verschlossenen Türen. Ich wusste nicht, wo das Problem der beiden lag, denn dass sie sich liebten, war schwer zu übersehen. Doch offensichtlich war dieses Problem ausreichend groß, um ein Zusammenleben unmöglich zu machen.
    Nach zehn Jahren in London verstand ich immer noch nicht, wie Mom lieber in dieser hektischen Stadt leben mochte als in meinen geliebten Highlands. Dads Job war zeitraubend. Manchmal war er mehrere Tage unterwegs, führte Touristen auf ihren Wanderungen oder sah irgendwo nach dem Rechten. Vielleicht hatte Mom nicht mit der Einsamkeit umgehen können. Andererseits hatte sie Trick und mich gehabt und ehrlich gesagt war sie auch hier in London nicht sonderlich kontaktfreudig. Mom sagte, es hätte mit meiner Krankheit zu tun. Sie wollte an einem Ort sein, an dem sie jederzeit einen Arzt erreichen konnte. Mir ging es schon seit langer Zeit wieder gut, trotzdem waren wir nicht zurückgekehrt.
    Pepper boxte mich in die Schulter und riss mich aus meinen Gedanken. »H ey, hörst du mir eigentlich noch zu? Ich hab dich gefragt, ob du schon beim Arzt warst! Ist vermutlich sowieso egal. Wenn es ein Virus ist, habe ich ihn mir bestimmt schon eingefangen und werde spätestens heute Abend über der Schüssel hängen.«
    »I ch habe gar nicht gekotzt.« Auch wenn ich manchmal kurz davor war. »M ir ist nur schlecht, und ich glaube nicht, dass es ansteckend ist. Sonst hätte Mom es schon längst. Und du genauso.«
    Immerhin verfolgte mich die Übelkeit schon seit meinem Geburtstag. Wir waren chinesisch essen gewesen und vielleicht hatte ich etwas Verdorbenes erwischt. Andererseits hatten wir die Platte für drei Personen gehabt und meinen Eltern fehlte nichts. Auch die eigenartigen Wellen, in denen die Übelkeit kam und ging, passten nicht zu einer Lebensmittelvergiftung. Auch nicht zu einem Virus.
    »H ier.« Pepper hielt mir eine Flasche Wasser hin. »T rink

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