When the Music's Over
Wiesel gehörte nicht zur grüblerischen Sorte. Sunshine drehte sich in ihrem Schlafsack und versuchte es noch mal mit Einschlafen. Sonst hatte Wiesels Gemurmel immer eine beruhigende Wirkung auf sie –
Faizul konnte auch nicht schlafen, doch aus anderen Gründen. Sie hockte auf ihrem Schlafsack, eine extra Decke um die Schultern gewickelt, und brütete sorgenvoll vor sich hin. Seit Stunden schon liefen in ihrem Kopf kleine »Was-wäre-wenn«-Spielchen ab. Was wäre, wenn sie morgen sterben würde und Brad nie gesagt hätte, was sie für ihn empfand – wenn sie nie die Chance gehabt hätte, mit ihm zu schlafen. Und, der Gedanke setzte ihr am allermeisten zu, was wäre, wenn er das Gleiche fühlte und sie es nie wissen würde. Und was wäre, wenn alles gut ausginge, wohin würde sie als Nächstes gehen und würden sich ihre Wege dann für immer trennen?
Sie starrte gegen die Zeltwand, als könnte sie mit ihren Blicken, ihren Gedanken ins nächste Zelt dringen, in seinen Kopf, und rausfinden, was in ihm vorging. Ob er schon schlief? Oder überlegte er, wie er am nächsten Tag die Aktion aufnehmen wollte? Sie wollte zu gerne rübergehen und es selber herausfinden – neben ein paar anderen Dingen, die sie noch viel lieber gewusst hätte. Warum musste sie sich immer alles so schwer machen? Was konnte denn schon passieren? Klar, er konnte sie auslachen, im schlimmsten Fall. Nein, noch schlimmer wäre es wohl, wenn er sagen würde: »Warum musstest du unsere Freundschaft kaputtmachen!«
Doch warum konnte sie eigentlich nicht zu ihm gehen? Sie könnte ja sagen, dass sie den Ablauf mit ihm durchgehen wollte. Nein, das wäre viel zu durchsichtig. Warum nur musste sie so feige sein. Feige, feige, feige!
Hiroku, die Kommunikationsspezialistin, schnarchte in ihrem Schlafsack. Hatte sie denn gar keine Ängste, Wünsche oder Hoffnungen, über die sie in dieser Nacht nachdachte?
Blue hing ähnlichen Gedanken nach. Er war allein in seinem Zelt. Bensons Schlafsack war leer. Blue hörte ihn draußen durch den Schnee stapfen. Bedächtig klappte er seinen Gitarrenkoffer auf. Seit er die Martin von Pierce zurückbekommen hatte, war sie immer bei ihm. Fast so, als müsste er sich beweisen, dass er diesmal auf sie aufpassen konnte. In dem Zweimannzelt lag die Innentemperatur bei plus vier Grad und auf dem Holz der Gitarre hatte sich ein feiner Schweißfilm gebildet. Seine schwarze Gibson war an Bord der Jacht geblieben. Würde er sie jemals wieder spielen, und wenn ja, wer würde er dann sein?
Der morgige Tag würde sie alle verändern, hatte Skadi gesagt. Sollte er durch diese vage Andeutung beunruhigt sein? Früher, in seinem anderen Leben, wäre das sicher der Fall gewesen. Jenem Leben, in dem andere all die unbequemen Dinge für ihn regelten.
Er stand auf und trat vor das Zelt. Benson fuhr herum, als er ihn hörte, hob das Gewehr und senkte es, als er ihn erkannte. Er nickte ihm kurz zu und nahm dann seinen Rundgang um das Camp wieder auf.
Blue ging langsam um die Zelte herum. Er genoss das Geräusch des knirschenden Schnees und den Anblick des mondbeschienenen eisigen Weiß auf den Berghängen. Was für ein eigenartiger Ort dies doch ist, dachte er – und weiter: Was für ein eigenartiges Leben mochte auf ihn warten?
»Dein Bruder hat gemeint, dir würde es hier oben gefallen«, sagte Skadi hinter seinem Rücken. Er hatte sie nicht kommen hören. »Aber ich bin mir nicht sicher, ob er nicht einen Witz gemacht hat.«
»Ja, so ist Pierce – so war er. Für ihn war das Leben immer eine Art absurder Witz.«
»Ich mochte ihn«, sagte Skadi schlicht.
Blue fühlte sich auf seltsame Art mit der jungen Frau verbunden. Ob es daran lag, dass sie die letzten Wochen mit seinem Bruder verbracht hatte? Wochen, die eigentlich ihm gehört hätten, wenn – Nein, er durfte nicht zulassen, dass Schuld die Erinnerung an seinen Bruder trübte.
»Bleib im Licht«, sagte Skadi und ging zu ihrem Zelt zurück.
Sie meinte vermutlich, dass er sich nicht zu weit von dem beleuchteten Camp entfernen sollte. Doch für Blue lag eine besondere Poesie in diesen Worten, eine Botschaft, die nur für ihn verständlich war. »Bleib im Licht.«
Brad fluchte lauthals. Bereits zum dritten Mal verlor er das Gleichgewicht und rutschte auf dem Eis aus. Seine Koordination war miserabel, das Gewicht der Kamera behinderte ihn und ließ ihn ungelenk dahinstolpern. Er drehte sich zu Faizul um, die direkt hinter ihm war. Sie sah blass aus, als hätte sie die ganze
Weitere Kostenlose Bücher