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Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Titel: Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
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Lieblingskandidaten von der PDS anzukreuzen.
    Hans-Joachim Maaz, Psychiater und Psychoanalytiker, hat nach der deutschen Herbstrevolution 1989 mit seinem Buch »Der Gefühlsstau. Ein Psychogramm der DDR« den waghalsigen Versuch unternommen, ein Volk auf die Couch zu legen und dessen psychische Deformationen, entstanden über Jahrzehnte durch im Alltag notwendige Unterdrückung wahrer Gefühle, zu analysieren. Maaz sieht außer in den sowieso vorhandenen psychischen Spätfolgen der Diktatur die wesentliche Ursache für die immer wieder auffälligen Verstörungen seiner ostdeutschen Landsleute in ihrer beruflichen Existenzangst. Deshalb bedürften sie dringend einer Therapie: »Menschen, die in Arbeit sind, trauen sich heute weniger als früher. So schlimm es war mit der Stasi, man wusste
mit den Typen umzugehen und hatte gelernt, seine wahre Meinung vor denen zu verbergen. Die Angst vor dem Jobverlust dagegen, die ist heute existenziell.«
    Bei seiner Analyse hebt er kaum die Stimme. Der Chefarzt der Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik im Evangelischen Diakoniewerk Halle, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für analytische Psychotherapie und Tiefenpsychologie, wirkt müde, als sei ihm, ein knappes Jahr vor dem Ruhestand, die Lust bereits ausgegangen. Zwar könne man mittlerweile nicht nur denken, sondern vor allem sagen, was man wolle, aber weil sich dadurch anschließend nichts ändere, »ist es nichts mehr wert: Die Erschlaffung und die Resignation sind sicher auch daraus entstanden, dass uns die Revolution geraubt wurde durch die Westdeutschen. Das war die erste große Enttäuschung nach dem Umbruch.«
    Maaz vergleicht diese Enttäuschung, der andere folgten, nicht etwa mit einem Raubüberfall, doch eine Art geistiger Diebstahl, eine unbewusste Verletzung des Urheberrechts, ist es für ihn allemal. Als im Zuge der laufenden Demonstrationen nicht nur die Mauer in Berlin, sondern alle Mauern gefallen waren, als Gedanken nicht nur frei waren, sondern frei ausgesprochen werden konnten, als die Bonzen zum Teufel oder aus ihren Ämtern gejagt waren, als die Angst endlich vertrieben schien und das Volk gesiegt hatte, wurde den Siegern innerhalb weniger Monate der Sieg wieder gestohlen.
    Erschöpft von ihrem Aufstand, wehrten sich die Aufständischen nicht, zumal sie bereits begonnen hatten, den gerade bewiesenen Mut zu hinterfragen. Sie waren in erster Linie geborene Deutsche und keine geborenen Revolutionäre.
    Umso bewundernswerter sei doch ihre Leistung gewesen, sagt Rainer Eppelmann, den ich später auch um eine Erklärung für das mangelnde Selbstbewusstsein seiner Landsleute bitte. Er leitet die »Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur«, ist aufgrund seiner politischen Biografie genau der richtige Mann für diese Aufgabe und hat nicht erst 1989 gelernt, sich zu wehren. Als Pfarrer der Samariterkirche in Berlin predigte er zivilen Ungehorsam,
als das noch lebensgefährlich war. Eppelmann hat sich nie einschüchtern lassen, nicht als junger Mann, der sowohl den Wehrdienst als auch den Einsatz als Bausoldat verweigerte und zu acht Monaten Haft verurteilt wurde, nicht als ihn die Krake Stasi verschlingen wollte, weil er zusammen mit Robert Havemann im »Berliner Appell« forderte, Frieden zu schaffen ohne Waffen und an den Schulen auf Wehrkundeunterricht zu verzichten. »Revolution ist ein Wort, das die Deutschen nicht mögen«, sagt er, »und deshalb ist auch der Ossi nicht stolz darauf, dabei gewesen zu sein.«
    Nur wegen der unerträglich gewordenen irdischen Zustände im Arbeiter- und Bauernparadies hätten sie keine andere Wahl gesehen, als sich mit der Parole »Wir sind das Volk« gegen die Obrigkeiten zu wehren. Dies ging nicht ohne Umsturz, ohne Revolution. Sie konnten ja nicht einfach alle abhauen aus der DDR, sie mussten ja bleiben, logisch. Und weil sie nicht wegkonnten, musste die DDR weg, auch logisch. Jetzt, da dies erreicht war, sollte aber bitte wieder Ruhe einkehren. Statt mit Stolz auf das Vollbrachte den Westdeutschen auf Augenhöhe entgegenzutreten, akzeptierten zu viele Ostler, dass die Westler ihren Sieg frech für sich reklamierten. »Wir wollen ja keine Sonderrechte, also keine Ostquoten für Ostgoten.Wir sind doch keine Kaninchen, die geschützt werden müssen, wir wollen nur gleich behandelt werden wie ihr im Westen« (Eppelmann).
    Die Westler waren zwar nicht geschult im dialektischen Materialismus, aber sie wussten, wie man sich mit passenden Sprüchen durchsetzt.

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