Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)
halten dagegen, mindestens zwei Nischen hätten existiert, in die sich der Staat nicht drängte: die Taubenzüchtervereine und die Akademie der Wissenschaften.
Der Blick zurück, ob nun naiv oder verklärend oder trotzig oder
zornig, von Urteilen geprägt oder von Vorurteilen, ist nicht nur typisch für Ossis und ein aktuelles Phänomen des Ostens, er ist auch typisch für Wessis, und im Westen gleichfalls psychologisch erklärbar. Allerdings anders begründet. Früher ging es uns doch ohne die Ossis viel besser, lautet im Westen die Rückwärts-Parole. Mit den Nettotransferleistungen von rund 1000 Milliarden Euro, die nach Schätzungen des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle in die fünf neuen Bundesländer geflossen sind – mein lieber Mann, was hätte man damit machen können in unserem Land?
Die Vereinigung war nicht nur eine historisch einmalige Chance, sie war vor allem eine moralische Pflicht, weil über Jahrzehnte hinweg die Botschaft von der deutschen Einheit als Staatsziel West verkündet worden war, was Politikern aller Parteien leicht von den Lippen floss. Sie glaubten nämlich ebenso wenig daran wie ihre Wähler. Da konnte man nicht einfach, als passierte, womit keiner mehr gerechnet hatte, kurz mal rüberrufen, so habe man es trotz Grundgesetz nicht gemeint und dass Freiheit statt Einheit doch auch ganz schön sei. Bei einem Volksbegehren hätte es zwar 1989 und vielleicht noch 1990 im Westen eine Mehrheit gegeben für die sogenannte Wiedervereinigung, aber leidenschaftlich begehrt haben die Bundesdeutschen die Einheit nicht.
»Die drüben«, sagt die altersweise, nicht milde gewordene SPD-Ikone Egon Bahr und übertönt mühelos den geschwätzigen Lärm in der Kneipe »Ständige Vertretung« am Schiffbauerdamm in Berlin, wo Abend für Abend auf die geliebte, unvergessene Bonner Republik mit Kölsch-Bier angestoßen wird, »die drüben haben deshalb bis heute das Gefühl, von uns im Westen nicht richtig anerkannt zu sein.«
Egon Bahr ist vor 86 Jahren da drüben auf die Welt gekommen und gehört schon deshalb zu den Gewinnern der deutschen Einheit, weil in seinem thüringischen Geburtsort Treffurt an der Werra eine Straße nach ihm benannt wurde, und das wäre früher ganz sicher undenkbar gewesen. Zwar hätte der außenpolitische Teil nach dem Umbruch 1989 kaum besser gemanagt werden können, und ohne diese Leistung der Regierung Kohl/Genscher
wäre die Einheit gar nicht erst möglich gewesen, aber das wichtigste Ziel nach dem Mauerfall, die innere Einheit, das haben »wir nicht erreicht, weil es nicht gelungen ist, die Menschen im Osten mit ihrem Stolz darauf, die erste unblutige deutsche Revolution geschafft zu haben, ins gesamte Deutschland einzubringen und zu würdigen«.
Bewiesen hatten sie zwar, dass es sogar in Deutschland möglich war, bei passender Gelegenheit und aus gegebenem Anlass, Revolutionen anzuzetteln und die sowohl siegreich als auch lebend zu bestehen. Dass es also keine genetische Deformation gibt, wonach die Deutschen mehr als alle anderen europäischen Nachbarvölker eher die Ruhe als die Unruhe, eher die Ordnung als den Aufruhr schätzten. Ich wage mich auf dünnes Eis und behaupte, dass die unblutige Revolution in ihrer Wirkung durchaus vergleichbar war mit der blutigen französischen zweihundert Jahre zuvor im Jahr 1789, aber der kurzfristig aufgeflammte Stolz 1989 wurde aufgefressen von der Sorge, wie es mit dem alltäglichen Leben denn mittelbar weiterginge angesichts des unmittelbar folgenden wirtschaftlichen Zusammenbruchs.
Dass die Helden bald vergessen waren, dass die Helden selbst bald vergaßen, wie couragiert sie waren, dass bald die Helden vielleicht sogar lieber vergessen wollten, was sie gewagt hatten, liegt sicher auch daran, dass außer an den üblichen Feiertagen ihrer Heldentaten nicht mehr gedacht wird. Fast zwanzig Jahre danach gibt es kein Denkmal, das an die wunderbare Revolution erinnert, an den Sturz der Diktatur. Es wäre eines der Freude, des gemeinsam erlebten Glücks, des berechtigten Stolzes derer, die sie bewirkten. Die Revolution vom Herbst 1989 ist schließlich die einzige gelungene in der deutschen Geschichte.
Nach wie vor aber gibt es viele Denkmäler, die an deutscheVerbrechen und Schande erinnern. »Und deshalb brauchen wir nicht nur ein zentrales Einheitsdenkmal in der Hauptstadt Berlin«, erklärt mir ein paar Tage später Sachsen-Anhalts uneitler CDU-Ministerpräsident Wolfgang Böhmer, der weder zum Jammern noch zur
Weitere Kostenlose Bücher