Wie man mit einem Lachs verreist
Dreiecke Prosciuttinis in den späten fünfziger Jahren vorgestellt werden müssen, so wäre es folglich, unter
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Anspielung auf die sich überschneidenden unterschwelligen Strömungen Banfi-Paci und Sartre-Merleau-Ponty (im
Schnittpunkt die Schule Husserls), passend gewesen, die fraglichen Dreiecke etwa zu definieren als »Darstellung des ureigentlichen Aktes der Intendierung, welcher, indem er eidetische Zonen konstituiert, noch aus den reinen Formen der Geometrie eine Lebenswelt macht«. Erlaubt gewesen wären damals auch Variationen in Termini der Gestaltpsychologie: Die Aussage, Prosciuttinis Dreiecke hätten eine »gestalthafte Prägung«, wäre unwiderlegbar gewesen, da jedes Dreieck, wenn es als Dreieck erkennbar ist, eine gestalthafte Prägung hat. In den sechziger Jahren wäre Prosciuttini zeitgemäßer erschienen, wenn man in seinen Dreiecken eine Struktur in Homologie zum Pattern der Lévi-Strauss'schen
Verwandtschaftsstrukturen gesehen hätte. Unter Anspielung auf das Verhältnis von Strukturalismus und '68 konnte man sagen, daß gemäß der Widerspruchstheorie von Mao, die den Hegeischen Dreischritt nach den binären Prinzipien des Yin und Yang vermittelt, die beiden Prosciuttinischen Dreiecke das Verhältnis von Grund- und Nebenwiderspruch evidenzierten.
Und es glaube hier keiner, das strukturalistische Muster ließe sich nicht auch auf die Flaschen Morandis anwenden: tiefe Flasche (deep bottle) versus superfizielle Flasche ...
Freier sind die Optionen des Kritikers seit den siebziger Jahren.
Das blaue Dreieck, das vom roten Dreieck durchquert wird, ist natürlich die Epiphanie des Wunsches (Désir), der nach einem Anderen (Autre) strebt, ohne sich je mit ihm identifizieren zu können. Prosciuttini ist der Maler der Differenz, genauer: der Differenz in der Identität. Zwar findet sich die Differenz-in-der-Identität auch im Verhältnis Kopf-Zahl auf jeder gewöhnlichen Münze, aber die Dreiecke Prosciuttinis bieten sich auch dazu an, in ihnen einen Fall von Implosion zu erkennen- wie übrigens auch die Bilder von Pollock und die Einführung von
Suppositorien auf analem Wege (Schwarze Löcher). In
Prosciuttinis Dreiecken steckt darüber hinaus die
wechselseitige Annullierung von Tausch- und Gebrauchswert.
Und mit einem subtilen Verweis auf die Differenz im Lächeln
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der Mona Lisa, das von der Seite gesehen als eine Vulva erkennbar wird (und in jedem Falle béance, also sprachloses Baffsein ist), könnten die Dreiecke Prosciuttinis schließlich, in ihrer gegenseitigen Annihilierung und »katastrophischen«
Rotation, als eine Implosivität des Phallus erscheinen: eines Phallus, der sich implodierend zur vagina den-tata macht. Der Phallus des Phallus.
Kurzum und schlußendlich, die Goldene Regel für den
AvoKaVo besteht darin, das fragliche Werk immer so zu
beschreiben, daß die Beschreibung sich, außer auf andere Bilder, auch auf die Erfahrung anwenden läßt, die man beim Betrachten der Auslagen einer Wurstwarenhandlung macht.
Wenn also der AvoKaVo schreibt: »Bei den Bildern von
Prosciuttini ist die Wahrnehmung der Formen niemals träge Anpassung an die Gegebenheit des Gefühls. Prosciuttini sagt uns, daß es keine Wahrnehmung gibt, die nicht Interpretation und Arbeit wäre, und daß der Übergang vom Gefühlten zum Wahrgenommenen Aktivität ist, Handeln, Praxis, In-der-Welt-Sein als tätiges Konstruieren von Abschattungen, intentional ausgestanzt aus dem Markt des Dinges an sich«, so erkennt der Leser die Wahrheit des Künstlers, weil sie den
Mechanismen entspricht, mit deren Hilfe er beim
Wurstwarenhändler eine Mortadella von einem Avokadosalat zu unterscheiden vermag.
Was außer einem Machbarkeits- und Effizienzkriterium auch ein Moralkriterium etabliert: Man braucht nur die Wahrheit zu sagen. Natürlich kann man das so oder so tun.
(1980)
Anhang
Den folgenden Text habe ich tatsächlich zur Präsentation des malerischen Werks von Antonio Fomez nach den Regeln der postmodernen Zitierwut geschrieben (vgl. Antonio Fomez, Da Ruopolo a me, Studio Annunciata, Mailand 1982).
Um dem Leser (zum Begriff des »Lesers« vgl. D. Coste, „Three concepts of the reader and their contribution to a theory of literary texts“, „Orbis litterarum“ 34,1980; W. Iser, „Der Akt des
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Lesens“, München 1972; „Der implizite Leser“, München 1976; U. Eco, „Lector in fabula“, Mailand 1979 [dt. München 1987]; G.
Prince, „Introduction à l'étude du
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