Will Trent 03 - Letzte Worte
ihn eine frische Wunde öffnete, sooft sie atmete, sooft sie dort ging, wo sie gemeinsam gegangen waren. Sooft sie an seine wunderschönen Augen, seinen Mund, seine Hände dachte.
Sara griff durchs Wasser, berührte die Finger des durch die Oberfläche brechenden Mondlichts. Aus der Kälte war eine Hülle der Wärme geworden. Sie öffnete den Mund. Luftblasen blubberten an ihrem Gesicht hoch. Ihr Herz schlug langsam, lethargisch. Eine letzte Sekunde lang gestattete sie sich den Luxus des Aufgebens, bevor sie sich wieder an die Oberfläche zwang und ihren Körper so drehte, dass sie am Felsen einen Halt fand.
» Nein! « , schrie sie voller Wut auf den Fluss. Ihre Arme zitterten, als sie sich an der rauen Oberfläche des Felsens in die Höhe hangelte. Das Wasser riss an ihr wie eine Million Hände, die sie wieder hinunterziehen wollten, aber Sara kämpfte mit jeder Faser ihres Körpers, bis sie oben auf dem Felsen lag.
Sie drehte sich auf den Rücken und starrte in den Himmel. Der Mond schien hell, das Licht brach sich an den Bäumen, den Felsen, dem Fluss. Sara lachte so heftig, dass sie husten musste. Sie stemmte sich in eine sitzende Position hoch und hustete und spuckte das Wasser aus sich heraus.
Sie atmete tief ein, sog wieder Leben in ihren Körper. Das Herz pochte heftig in ihrer Brust. Die Schnitte und Quetschungen überall auf ihrem Körper machten sich bemerkbar. Schmerz weckte jede Nervenendung und sagte ihr, dass sie noch am Leben war. Sara atmete noch einmal tief durch. Die Luft war so frisch, dass sie sie in jedem Winkel ihrer Lunge spürte. Sie legte sich die Hand an den Hals. Ihre Kette war verschwunden. Ihre Finger fanden den vertrauten Ring von Jeffrey nicht mehr.
» O Jeffrey « , flüsterte sie, » ich danke dir. «
Danke, dass du mich hast gehen lassen.
Aber wohin gehen? Sara sah sich um. Der Mond schien so hell, dass es auch Tag hätte sein können. Sie war in der Mitte des Flusses, mindestens drei Meter von jedem Ufer entfernt. Wasser schäumte weiß um die kleineren Felsen in ihrer Umgebung. Sie wusste, dass einige von ihnen über zwei Meter in die Tiefe ragten. Sie testete ihre Schultern. Die Sehne knirschte, aber sie konnte sie noch bewegen.
Sara erhob sich. An einem Ufer stand eine Trauerweide, ihre wehenden Äste winkten sie zu sich unter ihre Krone. Wenn sie es auf einen der kleineren Felsen schaffte, ohne vom Wasser mitgerissen zu werden, könnte sie von dort ans Ufer springen.
Sie hörte einen Ast knacken. Blätter raschelten. Will kam auf die Lichtung. Sein Brustkorb bebte vom Rennen. Er hatte ein aufgerolltes Seil in der Hand. In seinem Gesicht konnte sie Angst, Verwirrung und Erleichterung lesen.
Sara hob die Stimme, um sich durch den Lärm des Wassers verständlich zu machen. » Was hat Sie so lange aufgehalten? «
Vor Überraschung klappte sein Mund auf. » Besorgungen « , sagte er, noch immer atemlos. » Bei der Bank war eine Schlange. «
Sie lachte so heftig, dass sie wieder husten musste.
» Alles okay? «
Sie nickte und kämpfte gegen den nächsten Hustenanfall an. » Was ist mit Lena? «
» Sie war im Keller. Jared hat einen Krankenwagen gerufen, aber … « Er zögerte. » Sie ist in einem schlechten Zustand. «
Sara stützte die Hände auf die Knie. Wieder einmal brauchte Lena Hilfe. Wieder einmal war es an Sara, die Scherben zusammenzukehren. Merkwürdigerweise empfand sie diesmal nicht den üblichen Widerwillen oder den Zorn, der ihr beständiger Begleiter gewesen war seit jenem schrecklichen Tag, an dem sie ihren Mann hatte sterben sehen. Zum ersten Mal seit vier Jahren fühlte Sara Frieden. Tessa hatte recht – man durfte nicht den Boden unter den Füßen verlieren. Irgendwann musste man sich aufrappeln, sich den Staub abklopfen und mit dem Leben weitermachen.
» Sara? «
Sie streckte die Hand in Wills Richtung aus. » Werfen Sie mir das Seil zu. «
19 . Kapitel
W ill bremste ab, um mit seinem Porsche in die Caplan Road einzubiegen, entsprechend der Wegbeschreibung, die Sara ihm gegeben hatte. Sie hatte Pfeile neben die Straßennamen gezeichnet, und solange Will das Blatt in die richtige Richtung hielt, sollte er es zu Frank Wallaces Haus schaffen, ohne sich zu verfahren. Sara hatte ihm sogar ihre Lesebrille gegeben, die in seinem Gesicht so klein wirkte, dass er aussah wie Poindexters idiotischer Cousin. Dennoch hatte sie recht gehabt. Die Brille half ihm. Die Wörter auf der Seite spielten ihm zwar immer noch Streiche, aber wenigstens waren sie
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