Wilsberg 06 - Schuss und Gegenschuss
hatten dazu beigetragen. Vierbeiner konnten, im Gegensatz zu entlaufenen Kindern, nicht verraten, wie und wo ich sie fand. Die beiden Hunde, zum Beispiel, fand ich im Tierasyl. (Mit einem Fünfzigmarkschein und einer Flasche Weinbrand hatte ich einen Tierpfleger überredet, mich beim Eintreffen der gesuchten Lieblinge zu informieren.) Die Katze dagegen blieb verschwunden. Ich vermutete, dass ein Autofahrer oder ein Jäger sie auf dem Gewissen hatte. Was mich nicht daran hinderte, zwei komplette Wochensätze für ausgedehnte Streifzüge durch das Venner Moor zu berechnen.
In Anbetracht des erfolgreichen Gespräches mit Frau Schulze Büschen wollte ich mich gerade mit einem Kaffee im Altdeutschen Grill belohnen, als das Telefon klingelte. Herr Reichardt, mein anderer aktueller Klient? Oder ein neuer, das Geschäft zum Boomen bringender Fall?
Der Anrufer sagte: »He!«
Leute, die ihre Stimme für so unwiderstehlich halten, dass man den dazugehörigen Besitzer erraten darf, konnte ich noch nie ausstehen. »Selber he.«
»Übermorgen geht’s los«, verkündete er mit Freude.
»Was geht übermorgen los?«
»Hast du das etwa vergessen?« Zum ersten Mal ließ sein geöltes Sprechorgan einen Hauch von Unsicherheit erkennen. Und mir dämmerte etwas.
»Dieter?«
»Wer sonst?« Er war ernsthaft beleidigt. »Morgen kommt das Team nach Münster. Und übermorgen beginnen die Dreharbeiten.«
Vor sechs Monaten hatte mich Dieter Pierchowiak besucht. Er arbeitete als Autor an einer Fernsehserie, die sich mit Privatdetektiven und ihren Jobs beschäftigte. Dafür recherchierte er reale Fälle. Diese sollten, wie in Fernsehspielen üblich, von Schauspielern nachgestellt werden. Der Kick an der Geschichte war, dass die tatsächlichen Privatdetektive ihre eigene Rolle übernahmen, also quasi sich selber spielten.
Mehrere Tage lang war ich mit Dieter (für eine geringe Aufwandsentschädigung) meine markantesten Fälle durchgegangen. Er hatte sich eine Menge Notizen gemacht und ebenso viele Fragen gestellt. Dann hatte ich nichts mehr von ihm gehört. Irgendwann bekam ich einen Anruf einer Filmproduktionsfirma, dass man drei meiner Fälle in Münster verfilmen wolle. Näheres würde ich rechtzeitig erfahren.
»Wie?«, sagte ich. »Übermorgen geht’s los? Ich habe doch keine Ahnung, wie das abläuft.«
»Mach dir keine Sorgen! Du bist schließlich kein Schauspieler.«
»Eben deswegen mache ich mir Sorgen«, konterte ich.
Er lachte überheblich. »Pass auf! Wenn du den Text vorher auswendig lernen würdest, hätte das überhaupt keinen Sinn. Das würde völlig verkrampft wirken. Wir machen das spontan. Auf dem Set.«
»Was für ein Set?«, fragte ich.
Ein gönnerhaftes Glucksen. »Set ist der Drehort. Wir gehen die Szene durch, und du verhältst dich so, wie du als Detektiv reagieren würdest.«
»Und die anderen, ich meine: die Schauspieler?«
»Die haben natürlich ihren Text. Aber zwangsläufig werden wir vieles improvisieren müssen. Kein Problem für den Regisseur. Er hat mal einen Film gemacht, in dem bis auf die Situation nichts feststand.«
»Na toll«, sagte ich.
»Am besten, du packst ein paar Sachen zusammen und kommst morgen Abend raus zu dem Hotel. Wir bleiben etwa zwei Wochen.«
»Du meinst, ich soll zwei Wochen in dem Hotel wohnen?«
»Klar. Das spart die An- und Abfahrtswege. Und so ein Drehtag kann zwölf- bis vierzehn Stunden dauern.«
»Wie heißt das Hotel?«, wollte ich wissen.
» Schloss Gallitzin in Wolbeck.«
Sofort stand ich der Sache aufgeschlossener gegenüber. »Keine billige Absteige.«
»Du sagst es. Es hat einiger Überredungskunst bedurft, um die Produktionsfirma zu überzeugen. Wir haben sie damit geködert, dass wir einige Szenen im Schloss, am See davor und im nahe gelegenen Wald drehen können.«
Die Küche des Schlosshotels galt als eine der besten Münsters und hatte sogar einen Stern in einem der Feinschmecker-Führer bekommen. »Ich nehme an, Kost und Logis sind umsonst.«
Er tat schon wieder so, als hätte ich einen Witz gemacht. »Du bist zwar nicht gerade ein Hauptdarsteller, aber doch so etwas wie, sagen wir mal, ein Akteur. Du wirst behandelt wie die anderen Schauspieler.«
Das leuchtete mir ein. »Wie hoch ist eigentlich mein Honorar?«
»Dazu kann ich nichts sagen. Das musst du mit dem Produzenten dealen.«
»Ungefähr?«, bohrte ich nach.
»An deiner Stelle würde ich darauf bestehen, die Gage eines normalen Kleindarstellers zu bekommen. So zwischen drei- und
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