Wilsberg 15 - Wilsberg und die Malerin
überreden. »Lassen Sie uns einen kleinen Spaziergang machen!«
Er schaute auf meinen Zigarillo und würgte erneut. »Zuerst werfen Sie das Ding weg!«
»Okay, okay.« Ich trat den Zigarillo auf dem Waldboden aus. »Kommen Sie!«
Widerstrebend folgte er mir in den Wald hinein. Ich wollte ihn zum Reden bringen und suchte nach einem Thema. Das einzige, das mir einfiel, hing mit unserem Auftrag zusammen.
»Was ist das eigentlich für ein Bild, das wir abholen sollen? Ich weiß nur, dass es von Bernhard Pankok stammt.«
»Kennen Sie Pankok?«, fragte er zurück.
»Nein«, gab ich zu.
»Da sind Sie nicht allein. Dabei war Pankok zu seiner Zeit ein großer Künstler. Übrigens in Münster geboren. Er war vom Jugendstil geprägt, von der Idee des Gesamtkunstwerks. Er hat als Maler, Grafiker und Architekt gearbeitet, er hat Möbel, Kostüme und Bühnenbilder entworfen. Ein Universalkünstler. Über dreißig Jahre lang war er Direktor der Stuttgarter Lehr- und Versuchswerkstätte, der späteren Kunstgewerbeschule. Er stand auf einer Stufe mit Künstlern wie Henry van de Velde, Hermann Obrist oder Walter Gropius. Doch während sich die anderen auf ihre speziellen Begabungen konzentrierten und zum Beispiel als Architekten berühmt wurden, blieb Pankok allen Kunstrichtungen treu. Deshalb und weil er öffentlichkeitsscheu war und kein Marketing betrieb, wie man heute sagen würde, ist er nach seinem Tod schnell in Vergessenheit geraten.«
Es funktionierte. Van Haaksbergen hatte sich warm geredet. Sein Gesicht bekam sogar etwas Farbe.
»Wann hat Pankok gelebt?«, fragte ich, um den Faden nicht abreißen zu lassen.
»Von 1872 bis 1943. Er ist, wie gesagt, in Münster geboren, hatte aber kein besonders inniges Verhältnis zu seiner Heimatstadt. In Münster herrsche eine pfäffische Atmosphäre, erzählte er einem Freund. Das hing wohl auch mit den Schwierigkeiten zusammen, unter denen er seine erste Frau Toni heiratete. Toni war bereits als Nonne eingekleidet und lebte in einem holländischen Kloster. Wegen einer Krankheit verbrachte sie Weihnachten 1899 in Münster und verliebte sich in Pankok. Tonis Familie war entschieden gegen die Verbindung, Toni wurde sogar enterbt. Trotzdem heirateten die beiden 1901 in München, wo Pankok seit einigen Jahren arbeitete.«
»Sie wissen ja gut über Pankok Bescheid«, lobte ich ihn.
»Natürlich. Ich habe ein Buch über ihn geschrieben. Deshalb hat mich Herr Gessner ja ausgewählt.«
Van Haaksbergen blieb stehen und sah plötzlich wieder unglücklich aus.
»Und das Bild?«, fragte ich schnell. »Was stellt es dar?«
»Das interessiert Sie doch nicht wirklich«, schnaubte van Haaksbergen verächtlich. »Sie wollen mich nur ablenken.«
»Nein. Ganz und gar nicht«, widersprach ich.
»Sie müssen wissen, dass unter den zahlreichen Talenten Pankoks die Porträtmalerei wahrscheinlich das herausragendste war.« Der Kunsthistoriker setzte sich erneut in Bewegung. »Als Grafiker war Pankok Jugendstilkünstler, als Maler eher Impressionist. Das gilt vor allem für die Landschaftsdarstellungen, bei den Porträts gibt es gelegentlich sogar expressionistische Momente, was die Farbkomposition und die Hintergrundgestaltung angeht.«
»Aha«, sagte ich.
Van Haaksbergen schaute mich kurz an. »Entschuldigung. Ich will Sie nicht überfordern.«
»Keineswegs«, beruhigte ich ihn. »Ich war sogar schon mal in einem Museum.«
Er grinste. »Großartig.«
»Reden Sie ruhig weiter«, schlug ich vor.
»Nun, Pankok hat hunderte von Porträts gemalt, hauptsächlich von sich selbst, von Familienmitgliedern, Verwandten und Bekannten. Die Bilder blieben überwiegend in Familienbesitz, auch ein Grund für Pankoks mangelnde Akzeptanz. Manchmal hat er allerdings Auftragsarbeiten ausgeführt. Es gibt wunderschöne Bildnisse von Graf Zeppelin, Karl Ernst Osthaus und eben Dr. Walter Egli.« Van Haaksbergen musterte mich erwartungsvoll.
»Das Bild, um das es geht«, schlussfolgerte ich.
»Richtig.«
»Über den Daumen gepeilt: Wie viel ist es wert?«
Er legte seine Stirn in Falten. »Zehntausend, vielleicht fünfzehntausend Euro.«
»So wenig«, wunderte ich mich. Die erste Summe entsprach dem Honorar, das mir Jean Gessner zugesichert hatte, wenn ich das Bild unbeschadet in Zürich ablieferte. Hinzu kam noch einmal der gleiche Betrag, den ich in bar und gebrauchten Scheinen in der Tasche hatte und den Dieben aushändigen sollte. Was van Haaksbergen erhielt, wusste ich nicht, aber für weniger als ein
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