Winterherzen 01 - Sarahs Geschichte
verärgert.
„Du musst dich erst wieder daran gewöhnen. Ich möchte, dass du nicht übertreibst und dich schonst.“
Doch bei Sarah gab es natürlich keine Schonung. Voller Enthusiasmus stürzte sie sich wieder in die Arbeit. Sie achtete allerdings stets darauf, früh genug nach Hause zu fahren und Missy ins Bett zu bringen, bevor Rome eintraf. Doch Missy wurde mit jedem Tag munterer und blieb länger wach.
Nach einem besonders anstrengenden Tag schlief Sarah ein, sobald ihr Kopf das Kissen berührte. Rome lag neben ihr und war selbst beinahe eingeschlafen, als er das Baby schreien hörte. Er erstarrte und wartete, dass Sarah aufwachte. Doch sie schlief weiter.
Er wusste, dass sie das Baby irgendwann hören und es versorgenwürde, aber er wusste nicht, ob er das Geschrei so lange ertragen konnte. Einen Moment später erkannte er, dass er es nicht konnte. Er wollte Sarah wachrütteln, doch irgendetwas hielt ihn zurück. Vielleicht war es ihr Gesicht, das im Schlaf so friedlich wirkte. Vielleicht lag es an all den Nächten in vergangenen Jahren, in denen er verschlafenen Rufen nach Daddy gefolgt war. Aus welchem Grund auch immer, er stand auf und ging hinaus auf den Flur.
Überrascht stellte er fest, dass er zitterte, dass ihm Schweiß über den Rücken rann. Es ist nur ein Baby, sagte er sich. Nur ein Baby.
Er öffnete die Tür. Seine Kehle war wie zugeschnürt, und er rang nach Atem. Eine kleine Nachtlampe brannte neben der Wiege, sodass er das Kind sehen konnte, das sich in einen Wutanfall hineingesteigert hatte. Die winzigen Hände fuchtelten wild, die Beine waren angezogen, und es schrie aus Leibeskräften. Missy war es gewöhnt, sofort versorgt zu werden, und hatte nicht die Absicht, diese unerklärliche Verzögerung zu tolerieren.
Rome schluckte und näherte sich langsam der Wiege. Sie war noch so klein, dass ihre Wut grotesk wirkte. Ein Mädchen … Er hatte ein Mädchen. Doch was wusste er eigentlich von weiblichen Babys?
Zitternd schob er seine großen Hände unter den kleinen Körper, hob ihn hoch und wunderte sich, wie leicht er war. Missy beruhigte sich sehr schnell, als er ihr geschickt die Windel wechselte. Er wollte sie gerade wieder in die Wiege legen, als sie einen gurrenden Laut ausstieß. Er erschrak, ließ sie beinahe fallen. Er schaute sie an und erstarrte, als sie vertrauensvoll und strahlend zu ihm aufblickte.
Es war nicht fair. Er hatte sie gemieden, sie nicht einmal angesehen, doch ihr war das einerlei. Sie weinte nicht, fürchtete sich nicht in seinen großen fremden Händen.
Fasziniert starrte er auf das schwarze Haar, die fast schwarzen Augen. Der weiche, sanfte Mund war von Sarah, aber alles andere an ihr war eine weibliche Version seiner selbst. Sie war in Liebe gezeugt worden, war ein Teil von Sarah, ein Teil von ihm. Und er hatte ihr Leben zerstören wollen, noch bevor es überhaupt begann.
Er sank auf die Knie, beugte sich über sie und weinte.
Sarah wachte auf, tastete mit einer Hand nach Rome und fand nur das leere Kissen. Ein seltsamer erstickter Laut drang an ihre Ohren. „Rome?“, flüsterte sie, aber sie erhielt keine Antwort.
Hastig stand sie auf, schlüpfte in den Bademantel und trat hinaus auf den Flur. Nirgendwo brannte Licht. Dann hörte sie das Geräusch erneut. Es kam aus dem Kinderzimmer. Erschrocken lief sie hinüber. Sie blieb abrupt in der Tür stehen, als sie Rome auf dem Fußboden knien sah, mit Missy in den Armen.
Sarah erkannte, dass die erstickten Laute von ihm kamen. Sie wollte zu ihm gehen, die Arme um ihn schlingen und ihn in seinem Kummer trösten. Kummer um die Söhne, die er verloren hatte, Kummer um das Kind, das er nicht gewollt hatte. Doch es war ein persönlicher Moment der Bekanntschaft mit seiner Tochter, und Sarah ging leise zurück ins Bett.
Es dauerte lange, bis Rome zurückkam. Sie spürte, dass er keinen Schlaf fand, aber sie hielt sich zurück. Er focht einen inneren Kampf, und sie konnte ihm nicht helfen.
Er erwähnte den Zwischenfall früh nicht, aber sie spürte eine Ruhe in ihm, einen Frieden, der zuvor nicht existiert hatte. Er ging ins Büro, und Sarah fuhr mit Missy ins Geschäft.
Derek kam nach Schulschluss, hob Missy aus ihrem Wagen und küsste sie auf die Wange. Er blickte Sarah an und fragte: „Es wird alles gut für Sie, stimmt’s?“
„Ja, ich glaube. Woher weißt du das?“
„Ich sehe es Ihnen an.“ Er lächelte voller Zuneigung. „Ich wusste, dass er ihr nicht lange widerstehen kann.“
Sarah
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