Wir Ausgebrannten
Wettrüsten und die deutsche Teilung, wir begrüßten die Ostdeutschen mit ausgestreckter Hand und Solidarbeiträgen; dann ließen wir uns die Sozialsysteme umpflügen, drückten die überdimensionale Arbeitslosigkeit auf ein relativ erträgliches Maß herunter und glitten nebenbei fast unmerklich in ein neues Zeitalter der medialen Ubiquität, der ständigen Erreichbarkeit sowie der komplexen und raschen Wissensaneignung durch das Internet. Wenn wir am Anfang dieses neuen Zeitalters sagten, wir seien »online«, meinten wir, dass wir gerade den Computer eingeschaltet haben und neugierig tastend im wunderbaren Netz unterwegs sind. Heute beschreiben wir mit dem Wort online einen permanenten Lebensstil, der so selbstverständlich geworden ist wie der aufrechte Gang, den wir sogar noch epikureisch verfeinert haben, indem wir im Laufen den Kaffee aus Pappbechern saugen. Wenn wir auf der Straße nach dem Weg gefragt werden, schauen wir uns nicht mehr suchend nach allen Seiten um, sondern ziehen den BlackBerry aus der Tasche und geben die topografischen Koordinaten ein, welche den Fragenden im Handumdrehen zur Kunsthalle gelangen lassen. Zum Ziel kommt man per Auto nicht mehr dergestalt, dass der Beifahrer sein Fenster runterkurbelt und die Mutti am Gehsteig fragt, wo die Mehrzweckhalle steht. Die Mehrzweckhalle wird einfach in das GPS eingegeben, es reicht zumeist schon »Mehrzw« einzutippen, dann springt das richtige Wort als Vorschlag aufs Display.
All diese Errungenschaften sollen eigentlich der Erleichterung unseres Alltagslebens dienen. Und im Grunde tun sie das auch. Denn sie ersparen uns Zeit, mühsames Herumfragen, aufwendiges Kartenstudium und Wortemachen. Und doch muss in all diesen digitalen Segnungen ein kleiner Teufel wohnen, der uns immer wieder ins Ohr souffliert: Was du gerade tust, hat nichts mit convenience zu tun, es ist hard work , du bist immer im Dienst, weil deine Bequemlichkeitshilfsmittel gleichzeitig deine Arbeitsinstrumente sind. Mit dem BlackBerry kannst du zwar abends um neun zur Bar am Lützowplatz finden, aber wenn du Pech hast, ruft dich, kaum stehst du an der langen Theke, dein Chef auf dem gleichen BlackBerry an, um noch einmal den morgigen Workflow anzudenken. Alle menschlichen Tätigkeiten in der Spätmoderne, argumentiert der Philosoph Byung-Chul Han in seinem Essay über die Müdigkeitsgesellschaft , sinken auf das Niveau des Arbeitens ab. Han spricht von uns als dem animal laborans , dem in der Arbeit aufgehenden Menschen, und er sagt, dass dieser »mit dem Ego bis knapp zum Zerreißen« ausgestattet sei.
Es ist exakt dieses überdimensionierte Ich, das uns selbst unsere Erschöpfungszustände zu Arbeitsleistungen hochstilisieren lässt. Das Burnout-Syndrom ist ein gigantischer negativer Egotrip, auf dem wir mit dem ironiefreien Eifer der Leistungsträger unterwegs sind. Es ist unsere große edle Wunde, das Stigma derer, die sich bis in den Schlaf hinein für dieses Land und sein Fortkommen krumm machen. Aber unsere Bemühungen werden ja nicht gewürdigt, sondern mit immer mehr Erwartungen und Aufträgen belohnt respektive sanktioniert. Denn wenn wir es endlich in das Burnout geschafft haben, fängt die Arbeit erst richtig an. Dann müssen wir unsere Kohlehydrate reduzieren, unser Schlafverhalten neu regulieren und an uns arbeiten wie Steinmetze an der Apollo-Statue. Und wehe, es macht sich einer lustig über unser hart erarbeitetes Erschöpfungsgeschenk wie der Kölner Komiker Johann König mit seinem Burnout-Song . Darin heißt es: »Burnout ist eine Volkskrankheit, also eine Krankheit des Volkes, also unsere Krankheit. Jeder von uns hat das Recht auf Burnout, und ganz wichtig: Mit Burnout ist nicht zu spaßen.« Wie recht der Mann besonders mit seiner abschließenden Mahnung hatte, konnte er bald darauf in den Kommentaren im Internet nachlesen. Wer nämlich wie Johann König seinen Schabernack mit Burnout treibt, findet sich auf dem »Gipfel der Geschmacklosigkeit« wieder, hat zudem die »Grenze der Zumutbarkeit« mindestens erreicht, und humoraffine Menschen, die über den milden Spott lachen, sind »willfährige Claqueure«, die nicht den Mut haben, »dem Tabubruch die Stirn zu bieten«.
Tabubruch – eine Nummer kleiner geht es nicht? Natürlich nicht, denn die Opfer der großen Erschöpfungsleistung Burnout mahnen uns, die wir noch brennen oder zumindest ein bisschen glimmen. Sie mahnen uns vor den Zumutungen der spätmodernen Arbeitswelt. Wenn wir uns den Betroffenen
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