Wir Ausgebrannten
einen Vortrag über die häufigste psychische Störung, die Depression, halte, kommen im schönen Münster etwa fünfzig Zuhörer; wenn ich hingegen inhaltlich Ähnliches zum Thema Burnout vorzutragen ankündige, kommen fünfhundert.«
Unter der großen Burnout-Flagge kommen die Menschen gerne zusammen, weil sie hier über ein Leiden reden können, dem nichts Peinliches mehr anhaftet. Das Peinliche am Burnout ist von Anfang an weggeredet worden. Eine Depression hat immer noch den Geruch des Krankhaften an sich. Depressive Menschen müssen irgendwie schwache Menschen sein, denkt man. Sie sind dem Leben an sich nicht gewachsen, in ihrem Innern spielen sich undurchsichtige Schauspiele der Angst und des Zweifelns an sich selbst und am Dasein ab. Sie laufen Gefahr, lebensmüde zu werden, und müssen, wenn sie Stunden der Heiterkeit erleben möchten, starke Medikamente zu sich nehmen. In der Depression ist der einsame Mensch zu Hause. Im Burnout versammeln wir uns alle. Das Burnout ist die große öffentliche Seelenwanderung 2.0. Die erste Krankheit, die nicht schamhaft verschwiegen wird, sondern über die alle reden, schreiben und filmen wollen. Endlich haben wir eine Krankheit als Metapher, endlich haben wir zur Leistung die relativ schicke Ohnmacht. Endlich können wir das Elend unserer hochgetunten Effektivitätsgesellschaft in Symptomen ausdrücken. Irgendwann hat irgendjemand den großen Alarmknopf gedrückt, und jetzt ist Burnout die Epidemie, die jeden treffen kann, vor der sich aber niemand so richtig zu fürchten braucht. Denn wegen Burnout muss man nicht operiert werden, man wird nicht bestrahlt, man unterzieht sich keiner Chemotherapie und man stirbt im Allgemeinen auch nicht daran. Über Burnout wird nur immerzu geredet, er ist ein allgemeines Krankheitsbild, kein wirklich persönliches. Wie könnte er denn auch, denn die Fallgeschichten sind alle irgendwie gleich oder ähnlich. Im Schicksal der anderen erkennen wir unser eigenes, wenn auch oft nur potenzielles Schicksal. Jeder Fall ist ähnlich und jeder Fall geht ähnlich aus – nämlich mit einem Happy End, einer Läuterung, einem Heilsversprechen. Am Anfang steht die Verwirrung, die Ahnung, dass etwas nicht stimmt, obwohl die Umstände im Leben des Betreffenden günstig bis blendend sind. Der Job ist sehr gut bezahlt, die Familie intakt, der Freundeskreis stimmt. Aber da ist dieses Fiepen im Ohr, der Befiepte geht zum Arzt, bleibt ein, zwei Tage zu Hause. Und als er am dritten Tag ins Büro zurückkehrt, kennt er sich nicht mehr aus. Er öffnet seinen E-MailAccount und findet 20 Nachrichten, wie üblich. Aber an diesem Tag vermag er die Nachrichten nicht zu öffnen. Ein unerklärbarer Ekel übermannt ihn, er klappt das Notebook zu und verlässt die Firma. Er geht zu einem anderen Arzt, der hat die Diagnose parat, Burnout mit allem, was dazugehört, und ab geht es in die Therapie.
In der öffentlichen Berichterstattung finden sich diese Fallbeschreibungen zuhauf wieder, und sie werden angereichert durch Expertenbefragungen aller Art. Psychologen, Soziologen und Hirnforscher – jeder hat zur Diagnose Burnout etwas beizusteuern, denn dass man nicht genau weiß, was Burnout eigentlich ist, macht ihn zur Beute der Experten aller Couleur. Manchmal könnte man den Eindruck gewinnen, dass wir am Burnout unser ziviles Leben deuten, so wie die Auguren einstmals die Verfasstheit der Welt aus den Innereien der Vögel lasen. Das Burnout-Syndrom ist eine freundliche Handreichung unserer Gesellschaft, die sich selbst als menschenfeindlich begreift, als unzumutbar und in weiten Teilen mörderisch, zumindest schädlich für das Wohlbefinden. Niemand muss mehr selbst schuld sein an seinem Zusammenbruch. Niemandem muss der Vorwurf gemacht werden, er habe nicht vernünftig mit seinen Kräften gehaushaltet. Die erlösende Nachricht lautet: Das furchterregende und unüberschaubare Zusammenwirken der Triebkräfte unserer Gesellschaft macht dem einzelnen arbeitenden Menschen den Garaus. Wir kennen uns nicht aus? Wir können uns ja gar nicht auskennen, so kompliziert, wie alles geworden ist. Und im nächsten Schritt: Wir dürfen uns auch nicht auskennen, denn schließlich sind wir nicht verantwortlich für das, was in unserer Seele geschieht. Mit unserer Seele kennen wir uns nicht aus, genauso wenig wie mit unserem Körper. Wenn wir Rückenschmerzen haben, machen wir eine Karriere als Rückenkranker. Wir marschieren zum Orthopäden, der uns die Diagnose Bandscheibenvorfall
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