Wladimir - die ganze Wahrheit über Putin
geschleust wurde, welche die demokratischen »bösen« 1990er-Jahre überstehen konnte. Andere hängen ausnahmslos alles der Familie des ersten russischen Präsidenten Boris Jelzin an, die in Wladimir Putin unverhofft eine verwandte Seele erkannt hatte. Bei der Analyse derartiger Dinge halte ich mich an eine Regel, die ich ganz bescheiden das »Belkowski-Gesetz« nenne: In der Geschichte passiert immer das, was passieren muss.
Der bekannte russische Denker des 19. Jahrhunderts Konstantin Leontjew hat gesagt, dass die Zivilisation in den verschiedenen Stadien ihrer Entwicklung qualitativ verschiedene Typen von Herrschern braucht. Wenn sich eine Zivilisation im Aufstieg befindet, wenn sie wächst und an Kraft gewinnt, braucht sie große Reformatoren und mutige Abenteurer, die in der Lage sind, die Geschichte voranzutreiben. In derartigen Epochen braucht man einen Titanen wie Prometheus, der bereit ist, den Göttern das Feuer zu stehlen, es den Menschen zu geben und im Kaukasus seine Leber dem Adler Ethon preiszugeben.
Wenn sich jedoch eine Zivilisation im Niedergang befindet, braucht sie einen Herrscher, der behutsam, langsam und skeptisch ist. Er kann und will den Prozess eher einfrieren als in Bewegung setzen. »Nichts verschütten«, so haben wir bereits die inoffizielle Devise von Präsident Putin definiert. Er will viel eher auf die Bremse treten als aufs Gaspedal und ist also kein Prometheus, sondern ein Titan mit einer anderen Bestimmung. Er ist der Bruder von Prometheus – Epimetheus. Nicht der, welcher das Feuer bringt, sondern der, welcher den Herd hütet, in dem dieses Feuer bereits brennt – damit es nicht erlischt.
Wie wir aus der altgriechischen Mythologie wissen, hat Prometheus die Menschheit mit aller Entschlossenheit vorangebracht, ohne an die Risiken und Gefahren für seine eigene Person zu denken. Erstens brachte er den Menschen das Feuer und gab damit den Startschuss für die Entwicklung von Industrie und Wirtschaft. Zweitens beraubte Prometheus nach Aischylos die Menschen ihrer Vorahnungen und gab ihnen dadurch – die Hoffnung. Und die Hoffnung ist das Wichtigste, was den Menschen in seinem gesellschaftlichen Dasein vorantreibt. Im Grunde genommen besteht die wichtigste Funktion jeder Macht, ob sie nun totalitär oder demokratisch ist, in der Reproduktion von Hoffnungen.
Für alle seine Heldentaten, die Prometheus für die Menschheit vollbrachte, wurde er bekanntlich von Zeus an den Berg Elbrus gekettet. Ganz anders stand es um Epimetheus. Nie verließ er seinen angestammten Ort und war stark, vor allem im Langsamdenken. Allerdings verfiel er der unglücklichen Idee, sich mit einer Dame namens Pandora zusammenzutun. Und die öffnete im entscheidenden Moment ihre Büchse, aus der alle Plagen auf die Welt kamen.
Putin wurde ein solcher Epimetheus auf dem russischen Thron. In jenem historischen Moment, als die Sonne der Zivilisation, die ihren Weg mit der Anwerbung der Waräger ins Nowgorod von 862 begann, zielstrebig auf ihren Untergang zustrebte. Und auch hier gibt es eine Pandora mit ihrer Büchse. Ausgerechnet unter Putin wurde Russland zu einem Land der totalen Korruption. Die Russen haben sich dermaßen an die korrupten Mechanismen gewöhnt, dass man nicht weiß, wie man ihnen das wieder austreiben soll – und zwar ganz unabhängig davon, wie lange der amtierende Präsident noch an der Macht sein und wer ihn ablösen wird.
WWP ist ein klassischer Endzeitherrscher. Man kann sich darüber freuen, man kann es bedauern. Aber ein Ende zeichnet sich auch dadurch aus, dass es frei von Emotionen sein sollte.
Ohne Putin wäre das imperiale Russland schneller zusammengebrochen als mit ihm. Er ist es jedoch auch, der als eingefleischter Antiimperialist diesen Zusammenbruch unumkehrbar gemacht hat. Durch seine Konservierung der imperialen Symbole tat er nichts gegen die Zerstörung des Imperiums selbst. Das mag dem einen oder anderen paradox erscheinen: Er hat den Zerfall des Imperiums aufgehalten und ihn gleichzeitig beschleunigt? Wir werden später darauf zurückkommen.
Nach Putin wird das Land völlig anders aussehen. Es wird vielleicht noch so heißen, aber im Inneren verändert sein. Wie? Weiß der Himmel. Mein Prognose: Anstelle des euroasiatischen Imperiums, welches das russische Volk hat ausbluten lassen, wird ein europäischer Nationalstaat entstehen.
Es gibt mittlerweile weder Zeit noch Raum für eine Fortsetzung der kräfteraubenden Geschichte der Gewalt. Der Wecker des Imperiums
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