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Wo bist du

Wo bist du

Titel: Wo bist du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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beide die Nase wieder in das »Handbuch der Apachen«, um darin eine Lösung für ihr Problem zu finden: Die Opfergabe eines geheiligten Gegenstands zeugt von der ewigen Bindung zweier Seelen, hieß es auf Seite 236.
    Nach Überprüfung der Bedeutung des Wortes »Opfergabe« entschieden sie sich einvernehmlich für die zweite Methode.
    Während der feierlichen Zeremonie, bei der mehrere Irokesen- und Siouxgedichte vorgetragen wurden, legte Philip das Kettchen mit dem Medaillon um Susans Hals. Sie trennte sich nie mehr davon, obwohl ihre Mutter sie drängte, es wenigstens zum Schlafen abzunehmen. Susan lächelt, was ihre Wangenknochen betont.
    »Kannst du meinen Seesack tragen? Er ist tonnenschwer, und ich muss mich noch umziehen, sonst krepiere ich dort vor Hitze.«
    »Aber du hast doch nur eine Bluse an!«
    Sie ist schon aufgestanden, zieht ihn am Arm hinter sich her und bedeutet dem Barmann, den Tisch für sie freizuhalten. Der antwortet mit einem Kopfnicken; das Lokal ist sowieso fast leer. Philip stellt den Seesack vor der Tür der Damentoilette ab. Susan baut sich vor ihm auf und sagt:
    »Kommst du? Ich sagte doch, das Ding ist zu schwer für mich.« »Gerne, aber soweit ich weiß, ist das hier für Frauen reserviert.«
    »Na und? Hast du plötzlich Angst, mich in der Toilette zu beobachten? Ist das vielleicht komplizierter als die Trennwand im Gymnasium oder die Luke vom Badezimmer bei dir zu Hause? Also komm rein.«
    Sie zieht ihn an sich und lässt ihm keine andere Wahl, als ihr zu folgen. Er ist erleichtert, dass es nur eine Kabine gibt. Sie stützt sich auf seine Schulter, zieht den linken Schuh aus und zielt damit auf die Glühbirne an der Decke. Sie trifft beim ersten Versuch, und die Birne zerspringt mit einem trockenen Knacken. Ein dürftiges Neonlicht über dem Spiegel ist jetzt die einzige Beleuchtung. Sie lehnt sich ans
    Waschbecken, schlingt die Arme um ihn und drückt die Lippen auf seine. Nach einem ersten heißen Kuss wandert ihr Mund zu seinem Ohr, und beim Hauch ihrer flüsternden Stimme laufen ihm heißkalte Schauer den Rücken hinunter.
    »Dein Medaillon hat sich schon an meine Brust geschmiegt, noch ehe sie richtig entwickelt war. Deine Haut soll die Erinnerung an sie noch lange behalten. Ich gehe, aber ich will dir in der Zeit meiner Abwesenheit keine Ruhe lassen, damit du keiner anderen gehörst.« »Du bist größenwahnsinnig!«
    Der kleine grüne Halbmond des Türschlosses springt auf Rot.
    »Sei still und mach weiter«, sagt sie. »Ich will wissen, ob du was dazugelernt hast.«
    Eine ganze Weile später kommen die beiden zurück und nehmen unter den forschenden Blicken des Barkeepers, der Gläser poliert, wieder an ihrem Tisch Platz.
    Philip greift erneut nach ihrer Hand, doch Susan scheint mit ihren Gedanken schon weit weg zu sein.
    Weiter nördlich, am Zugang zum Sula-Tal, rissen die Fluten mit ohrenbetäubendem Grollen alles mit, was sich ihnen in den Weg stellte. Autos, Vieh, Trümmer tauchten bisweilen aus den schlammigen Strudeln auf, dann wieder ein grauenvolles Gewirr von zerfetzten Gliedern. Nichts vermochte diesen Urkräften zu widerstehen, Strommasten, Lastwagen, Brücken, ganze Fabriken lösten sich vom Boden und wurden weggeschwemmt. Innerhalb von nur wenigen Stunden hatte sich das Tal in einen See verwandelt. Lange Zeit später würden sich die Alten des Landes erzählen, es sei die Schönheit der Landschaft gewesen, die Fifi veranlasst habe, zwei Tage vor Ort zu bleiben; zwei Tage, die zehntausend Männer, Frauen und Kinder das Leben kostete und knapp sechshunderttausend Menschen obdachlos machte. Innerhalb von achtundvierzig Stunden wurde dieses kleine Land von der Größe des Staates New York, eingekeilt zwischen Nicaragua, Guatemala und El Salvador, von einer Kraft zerstört, die der von drei Atombomben entsprach.
    »Wie lange wirst du dort bleiben, Susan?«
    »Wir müssen jetzt wirklich gehen, sonst verpasse ich mein Flugzeug. Oder willst du lieber hier bleiben?«
    Er erhebt sich wortlos, lässt ein paar Dollar auf dem Tisch zurück. Als sie in den Gang getreten sind, drückt Susan die Nase an das Rundfenster der Tür und betrachtet die leeren Stühle, auf denen sie gesessen haben. Und in einem letzten Kampf gegen die Emotionen des Augenblicks beginnt sie so schnell wie möglich zu sprechen. »Wenn ich in zwei Jahren zurückkomme, erwartest du mich hier in dieser Bar, als würden wir uns heimlich treffen. Ich erzähle dir alles, was ich gemacht habe, und du erzählst

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