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Wo fehlt's Doktor?

Wo fehlt's Doktor?

Titel: Wo fehlt's Doktor? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Gordon
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hinzulegen. Einen Augenblick lang verharrte er mit vorgebeugten Schultern; dann gab er sich einen Ruck und schwang langsam in seinem Drehstuhl herum. Seine Miene verriet schlecht unterdrückte Angst vor dem, was er vielleicht sehen würde.
    Nichts. Das Arbeitszimmer war leer.
    Sir Lancelot überwand sich und stand auf. In Angriffsstellung näherte er sich einem hölzernen Rollschrank und spähte hinter das hohe, mit Akten gefüllte Möbel. Nichts. Er schob den schweren Fauteuil unter der Leselampe zur Seite. Alles leer. Mehr Möbel gab es nicht in dem kleinen Raum. Mit vorsichtig ausgestreckter Hand tastete er den Zwischenraum hinter den Vorhängen ab. Er war allein.
    »Anscheinend alles Einbildung!« Er zog ein rot und weiß gemustertes Sacktuch aus der Tasche und betupfte die breite Stirn. »Hat mir trotzdem einen bösen Schrecken eingejagt!« Sein riesiger Körper erschauerte. »Die dauernde Nervenbelastung dieser letzten vier Wochen macht mich fertig.« Er blickte auf die Pendeluhr in der Ecke und stellte bestürzt fest, daß es schon nach zehn war. Seine literarische Aufgabe hatte ihn in höhere Regionen entführt, und jetzt war es höchste Zeit für diese enervierende vormittägliche Verabredung. » Also los!« sagte er sich, »ich komme ja nicht darum herum. Obwohl diese gespenstischen Erlebnisse für einen Mann meines Alters eher zermürbend sind...«
    Sir Lancelot ließ den Nachruf auf den Dean in eine Schreibtischlade verschwinden. Ursprünglich hatte er ihn sofort an den Redakteur abschicken wollen, doch jetzt hatte er das Gefühl, es könnten ihm noch ein paar Verbesserungen, aparte Wendungen und Stilblüten einfallen, die das Kunstwerk zu einem Klassiker seiner Gattung machen würden. Er ging in sein Ankleidezimmer hinüber und wechselte aus dem Morgenrock mit den goldenen Drachen in ein formelles schwarzes Jackett. Gemessenen Schrittes begab er sich ins Erdgeschoß, wo ihm das in ein grellblaues Hauskleid gehüllte Hinterteil seiner lieben Haushälterin entgegenleuchtete; Miß Fiona MacNish bohnerte gerade den Boden der Halle.
    »Ich nehme das Abendessen heute zu Hause ein...«Die Haushälterin richtete sich auf. Sie stammte aus Aberdeen, hatte ein sommersprossiges Gesicht und rotblondes Haar. Ihre treuherzigen grünen Augen und ihr offenes Lächeln weckten Erinnerungen an Heidekraut, Butterkekse, alkoholfreie Sonntage und ähnliche zuträgliche Spezialitäten von jenseits der schottischen Grenze. »Ich dachte, Sie würden vielleicht ganz gern wieder einmal Frikassee mit Zwiebeln essen.«
    Sir Lancelot nickte. Sein Lieblingsgericht.
    »Und falls Sie zum Tee nach Hause kommen, werde ich frische warme Butterstullen machen.«
    »Leider werde ich heute nachmittag nicht vom Spital loskommen können. Ich nehme den Vormittag frei.«
    »Den Vormittag frei? Das ist man ja bei Ihnen gar nicht gewohnt, Sir Lancelot...« Sie hielt inne. Er rollte plötzlich mit den Augen und seine Schultern zuckten nervös. »Ist Ihnen vielleicht nicht gut, Sir Lancelot?« fragte sie bestürzt.
    »Oh, nichts von Bedeutung. Nein, wirklich nichts!« Sein glasiger Blick wanderte den kleinen Korridor entlang. Sir Lancelot zog noch einmal sein Taschentuch heraus und fuhr sich damit über das Gesicht. »Eine Art Krampf. Grassiert um diese Zeit.«
    »Wissen Sie, Sie sind gar nicht mehr der alte, seit Ihrer reizenden Champagnerparty zum Studentenball. Ich hab’ mir Ihretwegen schon Sorgen gemacht; das muß ich ehrlich sagen. Ich glaube, Sie sollten einen Arzt konsultieren.«
    »Ich traue den Medizinern nicht. Wahrscheinlich ist das Ganze nur eine harmlose Migräne. Wirklich kein Grund zur Aufregung.«
    Er griff nach seinem schwarzen Homburg. »Sollte jemand anrufen, so bin ich in einer Familienangelegenheit bei meinen Anwälten in der Stadt.«
    »Sehr wohl, Sir Lancelot.«
    Der Chirurg trat aus dem Haus. Nun, dachte er, wenigstens ist es ein schöner Tag. Läßt einen fast diesen scheußlich erniedrigenden Zustand vergessen. Überaus langsam machte er sich auf den Weg.
    Die Lazar Row war eine Privatstraße, die zum Besitz des St.-Swithin-Spitals gehörte. Hier stand einst das im sechzehnten Jahrhundert errichtete Lazarett, wo die Leprakranken abgesondert waren, die es nur Klappern und Glocken schwingend verlassen durften, um die gesunden Mitbürger von sich fernzuhalten. Als etwa hundert Jahre später die Lepra aus Europa verschwand, diente das Gebäude zur Unterbringung von Pockenfällen. Puderperücken tragende Modeärzte in ledernen

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