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Wofür es sich zu leben lohnt

Wofür es sich zu leben lohnt

Titel: Wofür es sich zu leben lohnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Pfaller
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würde ich nicht einmal das Wort »Bier« hören wollen.
    Genau aus diesem Grund haben Theoretiker wie Michel Leiris und Georges Bataille Praktiken wie das Biertrinken unter Freunden oder die erotischen Rituale unter Liebenden als Formen des »Heiligen im Alltagsleben« (»sacré quotidien«, s. Leiris [ 1938 ]; vgl. Bataille 1986 : 248 ff.) begriffen. Solche Praktiken verdienen diesen Namen deshalb, weil sie genau so zwiespältig sind wie die Objekte und Praktiken der institutionalisierten Religionen; und, zweitens, weil sie, genau wie die Riten der Religionen, von den Individuen zur Unterbrechung des profanen Alltags genutzt werden. Die Zigarette, für die zwei Kollegen in der Besprechungspause zusammen vors Haus gehen, oder der Kaffee, zu dem Bekannte sich am Nachmittag verabreden, schlagen eine Bresche in die Monotonie oder Gehetztheit ihres Arbeitslebens. Sie geben den Beteiligten einen bestimmten Glanz – eine Würde, die offenbar mit dem Abstand von den erwerbsbezogenen, profanen Tätigkeiten zu tun hat. [5] Kaffee, Zigarette und ähnliche Mittel eröffnen den rund um sie Versammelten, Geselligen Momente der Muße, in denen sie kaum anders können als sich dessen bewusst zu werden, dass sie leben. Sie weisen sich damit als Menschen aus, die zu leben wissen, und als Menschen, die wissen, warum sie es gerne tun. Nicht zuletzt beweisen sie damit auch Humor: Denn man muss über sich selbst lächeln können, um zur Einsicht fähig zu sein, dass die Gründe, für die man lebt und die einen dazu bringen, es zu wissen, sehr unscheinbar und geringfügig anmuten können.
    6 .
    Am Beispiel des Biertrinkens zeigt sich auch, wodurch der Wechsel der Beleuchtung verursacht wird: Das Heilige zeigt sich nur dann von seiner erhabenen, glänzenden, nicht unreinen oder unguten Seite,
wenn es gefeiert wird
.
Man muss das Heilige heiligen
 – diese paradoxe Notwendigkeit entspricht der ambivalenten Natur der heiligen Objekte und Praktiken.
    Das Feiern (und nicht etwa das Glauben) bildet demnach, wie die »ritualistischen« Anthropologen gezeigt haben, die zentrale Praxis aller Religionen (s. dazu Smith 1899 : 13 ) – und mit ihnen auch der Formen des Umgangs mit dem alltäglichen Heiligen. Diese religiöse Umgangsform beinhaltet also einen bestimmten Imperativ, ein Feier-Gebot. Und genau dieses Gebot verwandelt das ungute Kulturelement in ein großartiges. Dies bedeutet, dass das Feier-Gebot genau dasjenige befiehlt, was außerhalb der Feierlichkeit, im profanen Alltag, ungut und darum versagt bleibt: So muss zum Beispiel in totemistischen Kulturen im Rahmen der sogenannten Totemmahlzeit jenes Tier, das normalerweise »tabu« ist und nicht getötet werden darf, von den Mitgliedern des Clans feierlich getötet und verzehrt werden – ein fröhliches, von ekstatischer Freude begleitetes Fest. [6]
    7 .
    Dieser Imperativ des Feierns, der genau das, was normalerweise verboten ist, zu einem Gebot macht, dem man sich nicht entziehen darf, ist auch in unserem Alltagsleben noch spürbar – wenn auch vielleicht in abgemilderter Form. So muss zum Beispiel, wenn ein Kollege in der Firma Geburtstag hat, genau das getan werden, was sonst untersagt ist: Man muss die Arbeit niederlegen und mit dem Jubilar ein Glas Sekt trinken. Die feierliche Situation gebietet die »Überschreitung« in dem von Georges Bataille präzise erkannten Sinn (s. Bataille 1993 : 74 ).
    Daraus erklärt es sich, weshalb zum Feiern immer ein ungutes bzw. unreines Element notwendig ist – etwas, das nicht immer verfügbar, ein wenig gefährlich, unangenehm, schmerzhaft oder kostspielig ist. Nur so kann die Ausnahmesituation des Festes gekennzeichnet und einem Überschreitungsgebot Rechnung getragen werden. Man kann den Geburtstag eines Erwachsenen nicht mit Multivitaminsaft feiern. In der Feierlichkeit »transformiert« die feiernde Gruppe das ungute Kulturelement in ein erhabenes, sublimes (und sie scheint somit zwei Dinge zugleich zu feiern: einerseits die sublime Qualität des Objekts, andererseits ihre eigene Transformationskraft).
    Dies ist genau der Vorgang, der alleine den psychoanalytischen Namen der Sublimierung verdient. [7] In der Sublimierung wird das ansonsten Untersagte als etwas Gebotenes gewürdigt und dadurch zu einem momentanen, gewaltigen Glanz gebracht. Die Sublimierung führt darum nicht etwa von der Sexualität zur Kunst; sie ist vielmehr ein Vorgang, der sich innerhalb der Sexualität ebenso wie innerhalb der Kunst beobachten lässt –

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