Wolfsfeuer (German Edition)
eng, und er hatte Mühe, die Verzweiflung, die sein ständiger Wegbegleiter war, niederzuringen. Er würde tun, wofür er gekommen war, und vielleicht, nur vielleicht, würde er dann endlich schlafen können.
Er holte tief Luft, dann runzelte er verwirrt die Stirn. Er roch keine Angst. Er kniff die Augen zusammen, aber das Einzige, was er in Alexandras Gesicht entdecken konnte, war stoische Resignation.
»Bringen wir es hinter uns«, sagte sie.
»Was denkst du, warum ich dich hierher gebracht habe?«
»Um mich sterben zu sehen.«
»Das würde dir so gefallen.«
Alexandra knirschte mit den Zähnen, als er dieselben Worte benutzte, mit denen sie Jorge verhöhnt hatte. Mit einem verachtungsvollen Rucken seines Handgelenks ließ er sie los. Sie sollten es hinter sich bringen, genau wie sie gesagt hatte.
Julian öffnete einen nach dem anderen die Knöpfe seines Hemds, dann zog er es aus und ließ es zu Boden fallen. Mit geweiteten Augen ließ sie den Blick über ihn gleiten. Wo immer dieser Blick ihn traf, bewirkte er eine Gänsehaut. Er wollte nicht, dass sie ihn ansah, aber es ließ sich nicht umgehen.
Julian senkte die Hände zu seiner Hose; Alex folgte der Bewegung mit den Augen. Doch kaum dass der einzelne Knopf aufsprang, zuckten sie zu seinem Gesicht. Das Ratschen des Reißverschlusses sprengte die bleierne, angespannte Stille.
Alex wurde blass und zuckte zurück, und nun endlich roch er ihre Furcht.
»Der Tod ängstigt dich nicht«, murmelte er, als er den Daumen in den Bund seiner schwarzen Hose hakte und sie über seine Hüften schob. »Mal sehen, wie es hiermit steht.«
»Du wirst einige Mühe haben, mich damit zu vergewaltigen«, zischte sie und nickte mit dem Kinn zu seinem schlaffen Glied.
»Vergewaltigen?« Er zog den Gummi aus seinem Pferdeschwanz und ließ die Haare auf seine Schultern fallen. »Das ist nicht mein Stil.«
Verwirrung flackerte über ihr Gesicht. »Wozu dann der Striptease?«
Anstelle einer Antwort warf er den Kopf zurück und ließ ein Heulen erklingen.
Der Geruch ihrer Angst lockte das Tier in ihm hervor. Er hatte hiervon, von ihr, geträumt, es geplant, dafür gelebt. Er wollte, dass Alexandra Trevalyn verstand, was sie getan hatte, dass sie lange Zeit dafür büßte, und dafür gab es nur einen Weg.
Julians Körper verbog sich, als seine Wirbelsäule sich verformte. Knochen knackten, Gelenke knirschten; Nase und Mund verlängerten sich zu einer Schnauze; Hände und Füße wurden zu Pfoten, Krallen traten hervor, wo eben noch Finger- und Zehennägel gewesen waren. Während er sich auf alle viere sinken ließ, sprossen ihm goldene Haare aus allen Poren. Als Letztes bildeten sich ein Schweif und spitze Ohren, um seine Metamorphose in einen Wolf zu vervollkommnen – wenn man von zwei winzigen Details absah: die menschlichen Augen in einem nicht menschlichen Gesicht und die menschliche Intelligenz hinter dem Antlitz eines Tiers.
»Niemand kann sich derart schnell verwandeln.« Julian schwenkte den Kopf zu der Frau, die ihn mit aufgerissenen Augen anstarrte.
Aber Julian konnte es.
Seine Geburt lag Jahrhunderte zurück, und mit dem Alter erlangte man nicht nur Weisheit, sondern auch besondere Fähigkeiten – zumindest galt das für einen Werwolf. Je älter Julian wurde, desto schneller konnte er sich transformieren.
Mit aufgestellten Nackenhaaren und gebleckter Oberlippe stakste er steifbeinig auf Alex zu. Sie verkrampfte den Kiefer vor lauter Anstrengung, nicht vor ihm zurückzuschrecken, aber ihr Körper gehorchte den Befehlen ihres Gehirns nicht. Sein heißer Atem strich in Wellen über ihren Arm, ihren Hals, ihr Gesicht. Sie war ihm komplett ausgeliefert. Er konnte mit ihr tun, was er wollte. Sie wusste es, und ihre Angst hüllte Julian ein wie ein hochsommerlicher Nebel.
War es das, was Alana in den Sekunden vor ihrem Tod gefühlt hatte? Oder hatte sie nicht die Chance bekommen, irgendetwas zu fühlen, bevor dieses Kind sie mit einer Silberkugel erschossen und anschließend zugesehen hatte, wie sie verbrannte? Ein Knurren entrang sich Julians Kehle.
Alex spannte jeden Muskel an, dann schrie sie: »Tu es!«
Gehorsam schlug Julian die Zähne in ihre Schulter.
Alex gestattete sich nicht zu kreischen, obwohl der Schmerz schlimmer war als alles, was sie je gekannt hatte. Vielfarbige Flecken tanzten vor ihren Augen, dann begann die Welt zu wabern und zu flirren, bevor sie sich auflöste.
Stunden, Augenblicke, Sekunden später erlangte sie spuckend das Bewusstsein
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