Wolfsfeuer (German Edition)
dieses Land streifen. Sie war …
Zu Hause .
Nur dass Alex kein Zuhause hatte. Sie war in Nebraska geboren, wo es nicht viele Berge gab – weder aus Eis noch sonst irgendwelche. Auch Wälder waren dort rar gesät. Zudem hatte sie seit ihrem fünften Lebensjahr nie länger als einen Monat am selben Ort verbracht.
Sie fing den Duft von warmem Blut, von appetitlichem Fleisch auf und machte kehrt, um in den Wald zurückzulaufen. Etwas huschte an ihr vorbei und verschwand panisch ins Unterholz.
Wams!
Alex glitt zurück in ihren Körper, der noch immer auf der Pritsche in diesem entsetzlich heißen, entsetzlich kleinen Zimmer gefangen war. Sie war ihrer Freiheit kein Stück nähergekommen, doch nach dem, wie sich ihre Haut anfühlte – zu eng, um sie zu beherbergen – , stand sie kurz davor, ihre Menschlichkeit zu verlieren.
»Kollektives Bewusstsein«, stöhnte sie. »Oh Gott.«
Wenn ein Opfer infiziert wird, transformiert ihn das Lykanthropie-Virus von einem Menschen in ein Tier. Es beginnt sich an Eindrücke zu erinnern, die von anderen gewonnen wurden – der Nervenkitzel der Jagd, die Mordlust, der Geschmack von Blut.
»Es passiert«, sagte Alex mit einer Stimme, die ihrer eigenen nicht mehr ähnelte. Sie war tiefer, verzerrt – sie hatte diesen Klang schon früher gehört.
Aus dem Mund angehender Pelzträger.
Der Schmerz wurde mehr zu einem Jucken, zum Drang auszubrechen. Alex versuchte, sich diesem Drang zu widersetzen, doch es gelang ihr nicht. Ihre dunkle Jeans und ihre schwarze Bluse platzten mit einem ohrenbetäubenden Knarzen auf; ihre Stiefel schienen zu explodieren, als ihre Füße zu Pfoten wurden.
Ihre Nase tat weh; ihre Zähne waren zu groß für ihren Mund. Dann plötzlich wurde dieser Mund Teil der Nase, und ihre Zähne fühlten sich genau richtig an.
Die Fesseln, die sie gefangen hielten, zerrissen. Alex krümmte und wand sich, knurrte und stöhnte, und als sie sich endlich auf den Boden rollte, war sie nicht länger eine Frau, sondern ein Wolf.
Sie starrte auf ihre Pfoten, die von einem Fell bedeckt waren, das dieselbe Farbe aufwies wie ihre Haare; sie brauchte keinen Spiegel, um zu wissen, dass ihre grünen Augen aus dem Gesicht eines Tiers blickten.
Die Welt dehnte sich aus – Geräusche wurden scharf wie Messerklingen, Gerüche so intensiv, dass ihr vor Verlangen das Wasser im Mund zusammenlief; sie konnte jedes einzelne Stäubchen in der Luft trudeln sehen wie Schneeflocken aus Silber und Gold.
Der Hunger, ein hämmerndes Pulsieren in ihrem Kopf, übermannte sie. Wenn sie ihn nicht bald stillte, wenn sie nicht bald etwas tötete, würde sie den Verstand verlieren.
Dann sah sie ihn – direkt vor sich auf dem Boden, gefesselt und reglos. Wie war sein Name?
Ach ja. Leckerbissen .
Alex machte einen Schritt auf ihn zu, und die Tür flog auf. Der Schemen eines Mannes breitete sich über den Boden. Erschrocken knurrend taumelte sie zurück, dann hob sie die Schnauze und schnupperte. Vages Wiedererkennen durchströmte sie. Sie kannte ihn, trotzdem sträubten sich ihr die Nackenhaare, und ihr Knurren steigerte sich zu einem Grollen.
Der Drang zu attackieren, stand im Widerstreit zu dem nagenden Hunger in ihrem Bauch. Ihr Kopf schwang zwischen den beiden Männern hin und her, während ihr menschlicher Verstand die Optionen gegeneinander abwog.
Der gefesselte Mensch konnte warten; er würde nirgendwo hingehen. Sobald sie den Neuankömmling überwältigt hätte, gäbe es doppelt zu viel zu essen und halb so viel zu fürchten.
Sie spannte die Muskeln an und sprang mit einem Satz auf ihn zu. Bevor ihr Körper jedoch den Mann in der Tür frontal rammen konnte, fuhr ihr ein scharfer Schmerz in die Brust. Ihre Glieder fühlten sich an, als wären sie mit Sand beschwert, während ihr Geist sich auf wundersame Weise klärte, und als sie zu Boden taumelte, erinnerte sie sich, wer er war.
Edward .
Jetzt war sie endgültig geliefert.
2
Als Alex wieder zu Bewusstsein kam, war sie kein Wolf mehr, sondern wieder eine Frau. Sie lag nackt unter einer Decke auf der Pritsche, an die sie erst vor so kurzer Zeit fixiert gewesen war. Der gefesselte Mann war verschwunden. Leider galt das nicht für Edward.
Edward Mandenauer, Boss der Jägersucher – seines Zeichens groß, hager und blass – , wirkte nicht beunruhigt darüber, dass er sich mit einer Frau, die fähig war, sich Fangzähne und einen Schwanz wachsen zu lassen, in einem winzigen Zimmer aufhielt. Was vermutlich daran lag, dass ihm solche
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